Oben ohne
ganz offensichtlich weiß, dass er gut aussieht. Er führt mich in sein Sprechzimmer. Mein üblicher Sermon beginnt: »Ich gehöre zu einer Hochrisikogruppe … « und so weiter. Dieses Mal habe ich allerdings mit Tino das ganze Gespräch vorher durchgespielt. Ich bin gewappnet gegen unvorhergesehene Beleidigungen und Vorwürfe. Aber Doktor König hört mir lediglich zu und nickt wissend. Als ich zum familiären Brustkrebszentrum in Köln komme, unterbricht er mich.
»Frau Professor Schmutzler kenne ich natürlich«, sagt er, »wir treffen uns regelmäßig.«
Ich erkläre weiter, dass ich wegen dem Ultraschall und der Vorsorge hier bin. Er steht auf und macht sich an die Arbeit. Er schallt meine Brust sehr lange, scheinbar ist er gründlich. Am Ende versichert er mir, dass alles in Ordnung ist: »Sie können sich wieder anziehen.«
Ich bin erleichtert – aber da war doch noch die restliche Vorsorge: »Es fehlen noch der Abstrich und das Abtasten der Gebärmutter.«
Der Arzt sitzt schon wieder hinter seinem Schreibtisch und notiert irgendetwas.
»Für die normale Vorsorge lassen Sie sich bitte einen Termin bei meiner Kollegin geben.«
Das darf nicht wahr sein. Das ist jetzt wirklich keine große Sache. Dafür muss ich jetzt nochmal einen Mittag opfern. »Wäre es nicht möglich, dass Sie das kurz noch mit erledigen?«, bitte ich ihn.
»Nein«, sagt Doktor König, ohne aufzublicken.
Frustriert ziehe ich mich an und reihe mich in die Schlange an der Theke ein.
»Bei Frau Dr. Binder habe ich erst wieder am 14. April einen Termin.«
In einem Vierteljahr! Und wenn das so weit ist, muss ich schon wieder einen Termin in Köln für die Untersuchungen im August ausmachen. Was für ein Mist, ich renne ja nur noch von Arzt zu Arzt!
Ich laufe durch die winterliche Stadt. Die berühmten Bächle sind stillgelegt. Ansonsten herrscht hier der übliche Betrieb. Tino wollte, dass ich mich gleich melde, das geht aber erst einmal nicht. Auf eine Viertelstunde hin oder her kommt es jetzt auch nicht mehr an. Was soll ich ihm denn auch sagen? Dass der Arzt ein kompetentes Arschloch ist? Und: Dass ich im April schon wieder hin muss? Nein, vielleicht doch eher so: Es war gut, er scheint sich auszukennen – nur leider muss ich am 14. April noch zu seiner Kollegin zur normalen Vorsorge. Ach, am liebsten würde ich mich sowieso heulend in einer Ecke verkriechen. Irgendwie ist es demütigend. Ich habe es mir ja auch nicht ausgesucht, ständig zu Ärzten rennen zu müssen. Trotzdem geben mir solche Leute wie Doktor König das Gefühl, ich wäre eigentlich selbst daran schuld. Völlig absurd, aber so fühlt sich das eben an.
FAST WIE EINE AUSSÄTZIGE
März 2004
Es ist früh. 6.45 Uhr, um genau zu sein. Ich stehe auf dem Park-und-Mitnahme-Parkplatz in Umkirch, einige Kilometer westlich von Freiburg. Vor meiner Zeit an der Schule habe ich mich immer wieder mal gefragt, was das eigentlich für Parkplätze sind: zum Teil mitten in der Pampa, aber immer randvoll mit Autos. Heute weiß ich, dass sich hier die Menschen zu Fahrgemeinschaften treffen. Die Realschule, an der ich unterrichte, befindet sich in Oberkirch, einem idyllischen Städtchen in der Nähe von Offenburg. Oberkirch ist gut 80 Kilometer von Freiburg entfernt. Wir haben also einen langen Weg, und deshalb sind wir morgens eigentlich immer die Ersten. Das hat Vorteile, später wird es nämlich richtig voll, dann werden die Parkplätze Mangelware. Ich treffe mich hier mit meinem Kollegen Klaus, der in der Nähe von Freiburg wohnt. Wir haben ein perfektes Timing. Entweder er steht schon da, oder wir fahren quasi gemeinsam ein.
Heute bin ich dran mit fahren. Klaus biegt nur wenige Sekunden nach mir auf den Parkplatz ein. Ich sehe die schlaksige Gestalt aussteigen und durch den kalten Märzmorgen auf mein Auto zukommen, dann biegt er nach hinten ab, der Kofferraumdeckel geht auf und wieder zu, und schließlich lässt er sich auf den Beifahrersitz fallen.
»Morgen, Evelyn«, schnauft er. Er ist ein gutaussehender Mann Anfang vierzig, mit viel Humor – und einem ordentlichen Maß an Lebenserfahrung. Wir haben uns von Anfang an sehr gut verstanden: Nicht nur, was die Pünktlichkeit angeht, sind wir uns einig. Die Fahrten mit ihm sind erstaunlich kurzweilig. Es gib immer etwas zu quatschen. Ich genieße die Gespräche sehr. So als Berufsanfänger ist das fast wie eine private Supervision. Ihm kann ich meine ganzen kleineren und größeren Probleme in der Schule erzählen.
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