Oben ohne
bekomme (nämlich einen sehr agressiven!). Den meisten Menschen ist das Ganze viel zu heikel – und deshalb schweigen sie nach diesem spontanen Ausruf lieber und wechseln bei nächster Gelegenheit das Thema. Außerdem hat fast jeder in der weiteren Familie einen Brustkrebsfall. Das sind eben die »ganz normalen« zehn Prozent Erkrankungsrisiko, die da zuschlagen. Mit dem Unterschied, dass dieser Brustkrebs, vorausgesetzt er wird rechtzeitig erkannt, heutzutage oft heilbar ist. Was also habe ich denn bitte für ein Problem? Wie gesagt, ich kann diese Reaktion durchaus nachvollziehen. Aber leider, leider, leider hilft sie niemandem. Was wirklich hilft, ist: sich interessieren, nachfragen, offen und ohne falsche Scham, sodass die Betroffenen endlich darüber reden können und sich nicht so verdammt einsam fühlen mit diesem Damoklesschwert über ihrem Kopf.
Klaus bildet da eine sehr erfreuliche Ausnahme. In den vergangenen Sommerferien schickte er mir zum Beispiel per E-Mail einen Link zu einer Reportage auf Spiegel- Online, in der über die Mastektomie einer jungen Frau berichtet wird. Ich habe mir das dann angeschaut: Von der Methode des Wiederaufbaus, ein sogenannter DIEP-Flap aus dem Bauch, hatte ich vorher noch nie gehört. Dabei wird der Betroffenen Fettgewebe aus dem Bauch entfernt und dieses in die ausgehöhlte Brust implantiert, wo es direkt wieder an den Blutkreislauf angeschlossen wird. So ist da kein Fremdköper im Busen, im Gegensatz zu Silikon, das sich wohl anfühlt, »als würde man auf einer Wärmflasche liegen«, wie es mir irgendjemand mal beschrieben hat. Die Langzeitprognosen sind wohl sehr gut, das Gewebe lebt einfach mit mir weiter, ohne dass es zu Spätfolgen wie bei den Silikontransplantaten kommt. Und: Die Ergebnisse sind auch kosmetisch sehr hochwertig. Tatsächlich hatte die abgebildete Frau einen schönen Busen – und das nach der OP.
Das klingt alles richtig gut, auch wenn ich im Augenblick eine deutlich zu sportliche Figur für eine solche Entnahme hätte. Hier lese ich zum ersten Mal von einem Spezialisten in München, Professor Axel-Mario Feller, der diese Operationen seit vielen Jahren durchführt. Professor Feller kritisiert im Spiegel , dass sogar viele behandelnde Ärzte noch nie etwas von diesen Methoden gehört hätten. Also, ich weiß definitiv noch nichts davon. Den Artikel hefte ich sofort zu meinen Unterlagen. Wer weiß, ob ich die Infos irgendwann brauche. Aber so ist Klaus: einfach klasse!
Inzwischen sind wir auf die Autobahn Richtung Norden abgebogen. Noch ist es verhältnismäßig leer, die meisten anderen Autos sind wohl Pendler wie wir.
»Und, gibst du das Formular ab?«, fragt Klaus.
Es geht um den Antrag auf Versetzung, der bis Ende Januar bei unserem Rektor eingereicht werden muss.
»Ich denke schon. Wahrscheinlich wird es sowieso nicht genehmigt. Aber wenn ich überhaupt eine Chance haben will, dann muss ich es jedes Jahr von Neuem probieren.«
Das ist bei uns Lehrern so: Man sagt, dass man in der Regel um die fünf Jahre auf eine Versetzung warten muss. Dazu kommt, dass ganz Südbaden gerne nach Freiburg möchte.
»Willst du wirklich weg aus Oberkirch?«
Gute Frage! Ich will eigentlich nicht wirklich weg. Aber die Fahrerei ist anstrengend und zeitraubend. In letzter Zeit geht mir das alles ganz schön an die Substanz. Ich weiß nicht, ob ich das ewig schaffe.
»Und du?«, frage ich zurück.
»Ich stelle keinen.«
Klaus hat ja recht. Eine Versetzung von der Schule weg zu stellen birgt schon ein paar echte Risiken. Konkret: eine neue Schulleitung – und besser als im Moment können wir es nicht treffen. Da sind wir uns einig. Trotzdem: täglich 180 Kilometer und fast zwei Stunden Fahrtzeit sind ein Wahnsinn. Da muss ich mich doch nicht wundern, dass ich kaputt bin. Auch wenn ich die Fahrten mit Klaus genieße, passen unsere Stundenpläne nicht immer so gut zusammen. Und wenn Elternabend ist oder sonstige Sonderveranstaltungen, verbringe ich entweder endlos lange Tage an der Schule oder ich fahre abends nochmal hin – das sind dann vier Stunden Autofahrt! Das Arbeiten in der Schule kann man mit dem zu Hause nicht vergleichen. Es fehlt mein Material aus dem Arbeitszimmer – und wenn ich wirklich an alles denke und es mitschleppe, damit ich arbeiten kann, dann ist der logistische Aufwand enorm. Zudem ist so ein Lehrerzimmer auch kein abgeschlossenes Einzelbüro, immer wieder geht die Tür auf, treffen sich Kollegen, bequatschen irgendwelche Probleme,
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