Oben ohne
schwer, mich regelmäßig zu verabreden. Immer ist da der Gedanke: Wer weiß, was es alles zu tun gibt? Wer weiß, wie ich geschlafen habe? Die Frage bekommt in letzter Zeit immer mehr Raum. Aber vielleicht ist es gar nicht die Lösung meines wachsenden Unwohlseins, einfach keine Termine zu haben. Einfach mal in die Stadt gehen, obwohl noch Arbeit ansteht. Wenn ich das noch ohne schlechtes Gewissen schaffe, ist es bestimmt eine gute Ablenkung. Und heute kann ich die gut gebrauchen. Die vergangene Nacht war wieder komplett für die Katz. Ich merke das immer schon abends. Ich liege im Bett, und mein Puls schlägt schnell und stark. Das sind die eindeutigen Anzeichen dafür, dass an Einschlafen nicht zu denken ist. Als die Schlafprobleme anfingen, so vor einigen Monaten, habe ich mich nachts immer furchtbar aufgeregt. Inzwischen habe ich kapiert, dass es alles nur noch schlimmer macht. Deshalb: Aufregung war gestern. Heute weiß ich, dass ich den nächsten Tag überlebe. Es ist zwar eine richtige Quälerei, aber ich kann meiner Arbeit nachgehen – der Tag geht schließlich vorbei.
Leider hat diese etwas gelassenere Haltung nicht den Effekt, dass ich deswegen besser schlafen könnte. Ich kann es einfach nur akzeptieren, dass ich die Nacht wach sein werde, und darauf vertrauen, dass ich am darauffolgenden Abend wie abgeschossen schlafen werde. Denn das gab es bisher noch nicht: dass ich mehrere Nächte hintereinander nicht geschlafen hätte. Wenn Tino neben mir im Bett endgültig einschläft, ist es immer besonders hart für mich. Kurz darauf fange ich an, alle möglichen Kirchturmglocken im Umkreis zu hören. Was würde ich darum geben, sie alle abzustellen! Besonders quälend ist das Zwölf-Uhr-Läuten. Ich höre mindestens zwei Kirchen, die auch noch leicht zeitversetzt beginnen. Das geht dann minutenlang so. Automatisch rechnet mein Hirn die verbleibende Zeit bis zum nächsten Morgen durch: noch fünfeinhalb Stunden. Dabei habe ich die Glocken als Kind geliebt. Zu Hause wohnten wir direkt hinter einem Kirchturm. Der hat Oma Winzker immer den Schlaf geraubt – was mir als Kind völlig unverständlich war. Ich versuchte Oma immer zu überzeugen, wie schön sie klingen. Heute kann ich sie nur zu gut verstehen.
In der Zwischenzeit habe ich einiges gelesen, was man gegen Schlafprobleme machen kann. Das klingt alles immer ganz einfach. Eine Regel besagt, dass man nicht zu lange wach im Bett liegen soll. Denn dann verbindet man das Bett mit etwas Negativem. Sozusagen eine negative Konditionierung. Als wir im vergangenen Sommer die Wohnung renoviert haben, haben wir uns glücklicherweise ein gutes Schlafsofa gekauft, das jetzt im Wohnzimmer steht. Regelmäßig packe ich demnach nachts meine Decke und das Kissen und wandere ins Wohnzimmer. Allerdings zeigt der Ortswechsel bei mir keinerlei Wirkung. Auch hier liege ich wach. Der einzige Vorteil ist, dass ich Tino nicht störe.
In diesen endlosen Stunden empfinde ich einfach nur Leere. Es ist nichts. Keine Gedankenspiralen oder Ähnliches. Nur diese verdammte Leere, von der ich nicht weiß, wo sie herkommt. Jeder schläft mal schlecht, das ist normal, wenn man aufgeregt ist, etwas Neues im Leben ansteht. Sicherlich verbringt jeder Mensch auch mal grübelnd eine Nacht. Aber diese Leere kann ich überhaupt nicht einordnen. Es gibt schon noch einen Ausweg: Schlaftabletten. Ihr Ruf ist bekanntlich nicht der beste. Das schreckt mich ab. Und ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie man von dem Zeug abhängig wird. Diese schlaflosen Nächte sind einfach die Hölle. Wenn man das vermeiden kann mit einer Tablette. Für den äußersten Notfall habe ich mir schließlich auch Schlaftabletten verschreiben lassen – für Nächte, in denen ich nicht mehr ruhig bleiben kann, wenn der Schlaf ausbleibt. Bevor mich die völlige Verzweiflung überkommt, nehme ich dann eine Tablette. Leider oder auch zum Glück, das weiß ich noch nicht so genau, wirken diese Dinger bei mir nur begrenzt. Ich habe danach nicht das Gefühl, geschlafen zu haben. Der einzige Effekt ist der, dass die Nacht etwas schneller vorbeigeht. Aber nicht mal dafür gibt es eine Garantie. Ich habe auch schon erlebt, dass sie gar keine Wirkung hatten. Nun gut, die letzte Nacht ist Vergangenheit, heute Abend werde ich sicherlich schlafen. Und jetzt freue ich mich erst einmal auf einen Kaffee mit Corinna, koffeinfrei versteht sich.
Ich schwinge mich auf mein Stadtrad und radle zum Schwabentor. Hier schließe ich das Rad ab und
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