Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Heeg
Vom Netzwerk:
auch noch andere Sorgen.«
    »Aber das ist ja das Tolle!«, beruhigt mich Corinna. »So ein Kind gibt doch total viel Sinn im Leben. Da wird alles andere überflüssig.«
    Ein Kind soll Sinn ins Leben bringen? Da hat das Kind aber gleich ganz schön viele Aufgaben. Es muss den Job übernehmen, den eine erwachsene Frau selber nicht schafft. Neben der Trauer über meinen eigenen Zustand merke ich, dass ich diese Einstellung völlig daneben finde. Aber das kann ich jetzt alles nicht erklären, denn ich muss immer noch weinen.
    »Ich bin gerade ziemlich verwirrt«, stammle ich schließlich, »es ist mir alles zu viel. Ich muss erst einmal meine Gedanken ordnen.«
    Nach einer knappen Verabschiedung gehe ich nach Hause. Aber der Weg zurück ist zu kurz. Nur über die Schwabentorbrücke, in die nächste Querstraße, und schon bin ich zu Hause. Da ist noch nicht viel Klarheit. Zum Glück ist Tino da. Ich erzähle ihm erst einmal alles.
    »Ich kann einfach nicht begreifen, wie Corinna in ihrer Situation ein Kind haben will«, beklage ich mich bei ihm. »Ich habe immer gedacht, dass wir uns gegenseitig kennen und verstehen.«
    Waren ihre Beschwerden überhaupt so ernst, wie sie das immer dargestellt hat? Hat sie einfach nur übertrieben? Das kann ich nicht glauben. Aber wenn es ihr tatsächlich so schlecht geht: Will sie es den Rest ihres Lebens hinnehmen, dass ihr immer alles zu viel ist, dass sie für meine Begriffe psychosomatische Beschwerden hat?
    Ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich fühle mich einsam – das bekannte Gefühl, das ich nicht verstehen kann. Tino versucht zwar, mich zu trösten, aber diese Schwangerschaftsverkündung hat einfach zu viel bei mir ausgelöst. Meine Tränen münden in völlige Erschöpfung. Die schlaflose Nacht, das angespannte Kaffeetrinken, dieser Abschluss – zu heftig! Ich bin einfach nur noch kaputt.

    Ein paar Tage später ruft abends unser Freund Horst an. Er arbeitet in einem Unternehmen, das klinische Studien im Bereich Onkologie durchführt.
    »Am Mittwoch ist ein Vortrag von Professor Kaufmann aus Frankfurt in Freiburg. Er spricht zum Thema Brustkrebs. Ich muss beruflich dorthin. Wäre das nicht etwas für euch?«
    Es ist Montag, das fällt ihm ja früh ein! Aber eigentlich spricht nichts dagegen. »Können wir da einfach so mitkommen?«
    »Klar, dass ist zwar für Ärzte und Pharmazeuten. Aber da kontrolliert keiner, woher ihr seid. Wir treffen uns einfach um kurz vor acht vor dem Loretto-Krankenhaus und gehen dann gemeinsam rein.«
    Typisch Horst denke ich, der kennt da keine Skrupel.
    »Okay, abgemacht. Bis dann.«
    Das Loretto-Krankenhaus liegt im Herzen des idyllischen Stadtteils Wiehre, in dem wir auch wohnen, leicht erhoben auf dem Lorettoberg. Aus den Fenstern des Vortragssaals blickt man über die Stadt mit dem Münsterturm und den ersten Hügeln des Schwarzwaldes dahinter. Tatsächlich hat es keinen Menschen interessiert, ob wir eingeladen wurden, oder woher wir kommen. Zwar waren wir einige Minuten zu spät – das ist mit Horst eigentlich nicht zu vermeiden –, aber liegen damit voll im Trend. Wir setzten uns in die Mitte des gut gefüllten Saals, auf dessen Stühlen ein großes Pharmaunternehmen Schreibblöcke und Infomaterial verteilt hat. Mit der üblichen akademischen Viertelstunde Verspätung werden wir vom Veranstalter begrüßt.
    Ich stutze kurz, und dann beuge ich mich zu Tino hinüber.
    »Das ist Doktor König!«, flüstere ich ihm ins Ohr.
    Was für ein Zufall, dass genau mein Frauenarzt den Vortrag organisiert hat.
    Er begrüßt die Anwesenden. »Unter Ihnen haben sogar einige den weiten Weg von Offenburg auf sich genommen«, betont Doktor König dabei.
    Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Meine tägliche Pendelstrecke geht noch über Offenburg hinaus in den Norden. Nun gut, ich bin ja nicht hier, um etwas über den Wirkungsradius von Doktor König zu erfahren. Der Redner, Professor Kaufmann, betritt das Pult, und die nächste Stunde verstehe ich nur sehr wenig. Es geht hauptsächlich um die verschiedenen Chemotherapien und Medikamentationen bei Brustkrebs. Immer wieder betont er den Fortschritt, den die Medizin in der Heilung gemacht hat. Tino deutet stumm auf den Schreibblock mit dem Logo des Pharmakonzerns, und ich nicke. Das ist sicher kein Zufall, dass hier so positiv von den Krebsmedikamenten geredet wird. Trotzdem klingt es aufbauend, dass die Forschung angeblich vorwärtskommt. In der Diskussionsrunde zum Schluss wird es kurz richtig

Weitere Kostenlose Bücher