Oben ohne
spannend. Ein Gynäkologe meldet sich mit der Frage, was man Brustkrebspatientinnen mit familiärem Hintergrund empfehlen könne. Der Professor antwortet knapp: »Am wirksamsten ist eine prophylaktische Mastektomie, da die Heilungschancen vor allem bei BRCA1 relativ gering sind.«
Das war deutlich! Und das, obwohl er gerade die Fortschritte in der Therapie erklärt hat. Es ist hilfreich, das in dieser Deutlichkeit von einem weiteren ausgewiesenen Fachmann zu hören. Also hat es sich doch noch gelohnt, hierher zu kommen.
Wir stehen noch einige Minuten bei den Getränken und Häppchen herum, die nach Ende des Vortrages gereicht werden, und diskutieren mit Horst, was wir eben gehört haben. Er ist ein schlauer Kopf und Querdenker. Seine Ansichten sind manchmal zwar abgedreht, oft aber auch bereichernd.
»Habt ihr denn inzwischen was von Köln gehört?«, will er wissen.
»Nein, die warten wohl darauf, dass einige Tests zusammenkommen.«
»Aber das dauert doch jetzt schon ziemlich lange … «
»Fast zwei Jahre«, sage ich.
Horst guckt erstaunt: »Ihr wisst schon, dass auch das Uniklinikum Freiburg testen würde, und die brauchen nur einige Wochen für den Test!«
Nein, daran haben wir noch nicht gedacht. Aber ich bin nicht begeistert. Nochmal von vorne anfangen mit der Prozedur – darauf habe ich überhaupt keine Lust. Horst erklärt, dass das über die humangenetische Beratungsstelle laufen würde.
Kurz erscheint mir diese Variante aber doch als echte Alternative. Bis mir einfällt, warum es in Köln so lange dauert: Sie untersuchen zuerst Omas Blut; nur so kann man mich definitiv entlasten. Ein negativer Befund von der Uniklinik Freiburg würde mich also keinen Schritt weiterbringen.
»Lasst uns aufbrechen«, sage ich nur, »ich bin müde.«
In diesem Schuljahr unterrichte ich zum ersten Mal nach dem neuen Bildungsplan das neue Fach Naturwissenschaftliches Arbeiten, kurz NWA. Das bedeutet für mich einen ordentlichen Mehraufwand, da ich für die neuen Inhalte und Lernziele teilweise komplett neue Stunden konzipieren muss. Als junge Lehrerin kämpfe ich natürlich auch mit den fehlenden Routinen, die den alten Hasen den Alltag erleichtern. Außerdem bin ich zum ersten Mal Klassenlehrerin einer fünften Klasse, und auch das stellt eine Menge ungeahnter Anforderungen.
Es fällt mir nicht leicht, das zuzugeben, aber im Moment wächst mir alles irgendwie über den Kopf.
Ich hangele mich von Ferien zu Ferien. Das Lachen ist mir schon seit einigen Monaten fast komplett vergangen. Zudem kann ich immer öfter nachts nicht mehr schlafen. Und das, obwohl ich eigentlich völlig erschöpft bin. Das ist sehr unheimlich, ich quäle mich durch endlose Nächte, ohne zu wissen, warum. Es ist dann wieder diese Leere da, die ich mir nicht erklären kann. Gleichzeitig werden die Aufgaben, die am nächsten Tag auf mich warten, immer größer, weil ich mich ja so nie erholen werde! Ich bekomme immer mehr Angst vor dem nächsten Tag, alles erscheint mir als unlösbar. Gleichzeitig raubt mir diese Angst nur noch mehr den Schlaf. Und spätestens am nächsten Abend bekomme ich Angst vor der folgenden Nacht und möchte am liebsten gar nicht ins Bett gehen, obwohl mir oft schon beim Abendessen alles wehtut und ich mich elend und matt fühle. Es ist ein Teufelskreis, der sich da aufgebaut hat, und im Frühjahr 2004 stecke ich bis über beiden Ohren darin fest. Ich zeige die typischen Symptome eines Burn-outs. Obwohl ich noch nicht mal drei Jahre im Schuldienst bin.
Ein paar Tage später, ich habe den Vortrag erfolgreich verdrängt, kommt Tino nochmal darauf zurück: »Was willst du denn jetzt wegen Köln machen?«
»Was ich machen will?«, ich schaue ihn etwas ärgerlich an. »Ich kann doch nichts machen! Anrufen bringt nichts. Ich bin im August ja eh schon wieder dort.«
Tino weiß natürlich, dass es mir immer schlechter geht. Meine schlaflosen Nächte belasten ihn auch.
»Wir könnten ihnen doch einen bösen Brief schicken und versuchen, auf diese Weise Druck zu machen«, schlägt er vor.
»Einen Brief? Von mir aus. Aber nur, wenn du ihn schreibst.«
Mir ist das schon wieder zu viel, und ich habe wenig Hoffnung, dass das funktioniert. Tino merkt das.
»Wir adressieren ihn direkt an die Professorin und drohen damit, aus der Studie auszusteigen. Und das Ganze geht dann als Einschreiben raus.« Er grinst mich an. »Die weiß sicher nicht so genau, was da bei den einzelnen Studienteilnehmerinnen abgeht. Aber so wahnsinnig viele
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