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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Heeg
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einem Nachmittag Doktor König und Frau Doktor Binder zu sehen. Von daher stehen gleich zwei Termine an. Gar nicht so leicht, sich da noch gesund zu fühlen. Zum Zahnarzt sollte ich auch noch zweimal im Jahr. Und meine kurzsichtigen Augen wollen ebenfalls hin und wieder kontrolliert werden. Die Augenhintergrunduntersuchung, die mir mein Augenarzt schon vor drei Jahren empfohlen hat, steht ebenfalls noch auf der Liste unerledigter Dinge. Diese Ärzterennerei kostet mich mehr und mehr Kraft.
    Bei der Untersuchung komme ich mit dem Arzt auf den DNA-Test zu sprechen.
    »Was werden Sie tun, wenn Sie die Mutation haben?«, fragt er.
    »Ich überlege, ob ich mich einer Mastektomie unterziehe.«
    Woraufhin er mir erzählt, wie viel Tumore er jährlich operiert. Außerdem schwärmt er mir von den tollen Ergebnissen vor, die er beim Wiederaufbau mit Silikon erzielt.
    »Muss man denn Silikontransplantate nicht nach einigen Jahren wieder reoperieren?«, frage ich vorsichtig nach. Ich hatte gelesen, dass eine Verhärtung des umgebenden Gewebes, eine sogenannte Kapselfibrose, eine relativ häufige Komplikation bei einem Wiederaufbau mit Silikon sei – vor allem, da bei jungen Frauen die Transplantate über hoffentlich dreißig oder vierzig Jahre im Körper sein werden. Doktor König streitet das jedoch ab: »Es hätte doch für Sie auch enorme Vorteile, hier in Freiburg operiert zu werden.«
    Das klingt natürlich verlockend. Ich wäre in einer vertrauten Umgebung, meine Freunde wären in der Nähe, der Aufwand wäre insgesamt geringer, und vielleicht wären die Operationen sogar in den großen Ferien machbar. Aber irgendetwas stößt mir bei dem Angebot des Arztes unangenehm auf – ja, genau, ich merke, dass er gerade von den ganzen Tumoren sprach, die er jährlich operiert. Ich habe aber gar keinen Tumor und möchte es auch nicht so weit kommen lassen. Ist er dann überhaupt der richtige Chirurg für meine Operationen?
    Ziemlich verwirrt verlasse ich seine Praxis. Alles war in Ordnung, aber ich kann mich nicht richtig darüber freuen. Das Gefühl von Erleichterung fehlt. Mein Fahrrad lehnt um die Ecke an der Mauer, ich schließe es auf und gehe wieder ein paar Schritte zu Fuß, um den Kopf klar zu kriegen. Ich muss so langsam einfach wissen, was los ist. Immer öfter stelle ich mir auch die Frage, was ich eigentlich mache, wenn sie bei Oma keine der beiden Mutationen finden. Wie kann ich damit umgehen, dass man mir nicht definitiv sagen kann, ob ich positiv oder negativ bin? Eine Möglichkeit ist dann ja, mit dieser engmaschigen Vorsorgestrategie weiterzumachen. Aber schaffe ich es, zweimal jährlich diese Prozeduren und die entsprechenden Ängste über mich ergehen zu lassen? Vielleicht würden mich meine Freunde und Kollegen aber auch für verrückt erklären, wenn ich eine Mastektomie ohne einen positiven Gentestbefund durchführen ließe. Aber nur so hätte ich Ruhe. Schließlich habe ich bei BRCA3 oder 4 immerhin noch ein rechnerisches Risiko von rund vierzig Prozent. Das ist viermal so hoch wie bei normalen Frauen.
    Ich seufze unwillkürlich, während ich mein Rad durch die Altstadtgassen schiebe. Es wäre viel leichter eine Entscheidung zu treffen, wenn ich endlich wüsste, was Sache ist. Die Gedankenspirale verläuft immer in den gleichen Bahnen. Erneut entschließe ich mich, in Köln anzurufen und nachzufragen.
    Dieses Mal habe ich kein Glück: keine der Ärztinnen ist zu sprechen. Die nette Sekretärin verspricht mir aber, mein Anliegen auf jeden Fall weiterzuleiten, und versichert mir, dass ich in Kürze zurückgerufen werde. Das stimmt mich hoffnungsfroher. Und ein paar Tage später ist tatsächlich eine Nachricht einer Kollegin der Professorin auf dem Anrufbeantworter, als ich aus der Schule komme. Allerdings kann sie mir auch keine weiteren Informationen geben, sondern vertröstet mich auf einen späteren Zeitpunkt. Nun gut, ich habe getan, was ich konnte. Schließlich kann ich den Test ja nicht selber durchführen. Trotzdem fühle ich mich etwas alleingelassen.

SCHLAFLOS
    April 2005

    Kaffeetrinken mit Corinna – das ist jetzt bestimmt das Richtige. Wir haben uns gestern verabredet, sie hatte angerufen. Die Unterrichtsvorbereitungen für morgen sind zwar noch nicht ganz abgeschlossen. Aber vielleicht hilft es mir, wenn ich auch unter der Woche mal mehr unternehme. Ich mache regelmäßig Sport und treffe dabei auch Leute. Aber vielleicht ist das Sozialprogramm noch nicht ausreichend. Es fällt mir zunehmend

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