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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Heeg
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kann diese Lücke keiner.

    Es hatte sich ja schon länger angekündigt, dass Tino nicht ewig bei der Bank bleiben würde. Wir beide hatten es als eine Art Experiment gesehen, das ziemlich schnell scheiterte. Tino hat lange Jahre im Verlag gearbeitet, er wollte mal etwas anderes sehen, aber der Ausflug in die Finanzwelt hat ihm schnell gezeigt, wo er eigentlich hingehört: zurück in die Buchbranche. Intellektuell fühlt er sich völlig unterfordert, und auch seine Kreativität ist nicht gefragt. »Das ist ein goldener Käfig«, sagt Tino eines Abends. »Da werde ich nicht glücklich.«
    Es ist klar, dass sich etwas ändern muss, und wir diskutieren inzwischen, ob er sich als Lektor selbständig machen soll. Das wird vor allem eine starke finanzielle Einbuße darstellen, da er ganz realistischerweise nur einen Bruchteil dessen verdienen wird, was er in der Schweiz bekommt. Zudem sind die ersten Jahre einer Selbständigkeit ja immer die schwersten: Man hat noch keinen Kundenstamm, ist noch nicht lange am Markt und so weiter. An eine Festanstellung ist in Freiburg aber auch nicht zu denken – zu wenige Verlage gibt es hier, zu wenige freie Stellen. Natürlich könnte er sich auch in einer anderen Stadt bewerben, aber wir beide haben das Gefühl, dass eine zusätzliche Belastung durch Wochenendbeziehung nicht das ist, was wir im Moment brauchen. Im Oktober wird uns langsam klar, dass er den Schritt Anfang nächsten Jahres wagen sollte.
    Im Herbst 2004 feiere ich auch meinen neunundzwanzigsten Geburtstag. Wir machen eine kleine Party in unserer Wohnung. Aber irgendwie kann ich alles nicht mehr so genießen wie noch in den vergangenen Jahren. Mir wird immer klarer, dass ich langsam in das wirklich riskante Alter komme. Schon in einem Jahr steht die Drei vorne dran. Falls ich Mutationsträgerin bin, ist dann Schluss mit lustig. In unserer Familie sind alle Anfang bis Mitte dreißig erkrankt. Das Blut von Oma müsste jetzt seit gut einem Jahr in Köln sein. Die Professorin hatte ja schon erklärt, dass es mindestens ein Jahr dauern würde, da immer erst einige Blutproben zusammenkommen müssen. Zudem ist es durchaus nicht trivial, den entsprechenden Defekt zu finden. Es gilt, eine lange Latte an Mutationen, die sich über verschiedene Orte des Erbgutes erstrecken, abzugleichen. Außerdem wissen die Wissenschaftler nicht, ob BRCA1 oder 2. Also jede Menge Variablen, die in mühevoller Kleinarbeit abgearbeitet werden müssen. Immerhin: Bei der Vorsorge im August war alles in Ordnung.
    Ende Januar 2005 habe ich immer noch keine Nachricht aus Köln erhalten. Nun habe ich definitiv kein gutes Gefühl mehr, wehre mich aber noch dagegen, das alles so richtig wahrzunehmen. Hat vielleicht doch etwas mit Omas Blut nicht geklappt? Aber dann hätte man mich informiert. Wenn aber nicht? Ich sollte doch einmal anrufen. Ich versuche, mir gut zuzureden. Ein Anruf kostet nun wirklich fast nichts. Auch Tino drängt mich, in Köln nachzufragen. Er hat ja auch recht. Zudem muss ich einen neuen Vorsorgetermin bei Doktor König ausmachen – wenn ich da anrufe, kann ich auch gleich noch in Köln anrufen.
    Nach einigen weiteren Verzögerungsmanövern meines Unterbewusstseins ringe ich mich schließlich durch und habe sogar Glück: Ich bekomme eine Ärztin direkt ans Telefon. Sie erklärt mir noch einmal, dass für einen Test immer mehrere Personen zusammenkommen müssen, quasi als Qualitätskontrolle. Von daher könnte es gut sein, dass es von Zeit zu Zeit Verzögerungen gibt. Allerdings ginge demnächst eine neue Testreihe los, da wäre ich dann bestimmt dabei.
    Ich lege auf und habe das Gefühl, dass mir ein Stein vom Herzen fällt. Am Grad der Erleichterung merke ich erst, wie sehr es mich beschäftigt hat.

    In den kommenden Wochen höre ich weiterhin nichts aus Köln. Der Gang zum Briefkasten wird immer unangenehmer. Tino ist seit wenigen Wochen tatsächlich als freier Lektor selbständig tätig. Jetzt bevölkern wir zusammen unser Arbeitszimmer, die Schreibtische bilden ein »L« in der Mitte des Raums. Das ist noch etwas ungewohnt, aber eigentlich ganz nett. Noch passiert nicht viel in seinem neuen Laden, und er schlägt sich mit so unerfreulichen Dingen wie Kaltakquise herum.
    Meistens hat Tino den Briefkasten längst geleert, bis ich nach Hause komme. Wenn ich selber runtergehe, dann grummelt ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Im März 2005 ist dann der Vorsorgetermin bei Doktor König in Freiburg. Leider ist es nicht möglich, an

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