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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Heeg
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laufe bis zum Bertholdsbrunnen. So viel Zeit muss sein. Ich habe noch nicht ganz verstanden, warum sich Corinna unbedingt in der Stadt treffen will. Wir verbringen sehr viel Zeit gemeinsam, sowohl in Freiburg als auch im Urlaub. Mit Corinna habe ich schon viele Ecken der Welt gesehen. Legendär ist unser Florida-Urlaub. Da waren wir mit einem Kanu auf einem Trip durch die Everglades leicht vom Weg abgekommen. Nachdem wir dann beide etwas panisch wurden, kam schließlich ein Einheimischer auf einem anderen Boot vorbei, den wir nach dem Weg fragen konnten. Er schaute uns an, blickte in die Richtung, in die wir die letzte halbe Stunde gepaddelt waren, und sagte: »Oh, you’re on the way to Cuba!« Dann erklärte er uns den Weg zurück. Aber dieser Satz wurde zu einem Running Gag zwischen uns.
    Wir telefonieren stundenlang, gehen gemeinsam Radfahren, Joggen, Spazieren, Kochen gemeinsam, tauschen Material für die Schule aus, denn Corinna ist ebenfalls Lehrerin. Oder wir ziehen gemeinsam zum Stadtbummel los. Letzteres allerdings eher in den Ferien, deshalb ist mir nicht ganz klar, warum sie mich heute unbedingt in der Innenstadt sehen will. Sie hatte es am Telefon richtig dringend damit. Für mich wäre ebenso denkbar gewesen, eine Runde spazieren zu gehen. Egal, ich werde sicherlich noch eine Erklärung bekommen.
    Als ich zum Treffpunkt komme, wartet sie schon unter der Uhr an der Ecke Kajo–Bertholdstraße. Der beliebteste Treffpunkt in der Stadt: am Bertholdsbrunnen unter der Uhr. Wir umarmen uns. Schön, sie zu sehen. Dann diskutieren wir kurz, in welche Lokalität wir uns zurückziehen. In Erinnerung an unseren Amerika-Aufenthalt landen wir schnell bei Starbucks. Das ist nur einige Meter die Kajo runter.
    Wir holen uns ein paar Heißgetränke und finden einen gemütlichen Platz am Fenster. Wir besprechen erst einmal die neuesten Ereignisse. Bei mir geht es leider auch mal wieder um schlaflose Nächte, Teil 29. Ihr kann ich das alles erzählen. Ich habe das Gefühl, dass sie mich versteht. Vielleicht liegt es daran, dass es ihr seit einiger Zeit nicht so viel besser geht. Sie hat zwar andere Beschwerden als ich, aber es läuft eben nicht so, wie man sich das mit dreißig vorstellt. Sie kämpft mit heftigen Allergien, hat häufig Atemnot und leidet unter den damit verbundenen Ängsten. Das Gefühl, mit unseren Kräften ständig am Anschlag zu sein, teilen wir. Gelegentlich lachen wir auch darüber und stellen uns vor, uns würde jemand zuhören. Wahrscheinlich hätte er das Gefühl, hier unterhalten sich zwei achtzigjährige Omas. Obwohl unser Gespräch heute wie immer läuft, bekomme ich das Gefühl nicht los, dass irgendetwas zwischen uns steht.
    »Sollen wir noch durch die Stadt schlendern?«
    Der Vorschlag von Corinna kommt ziemlich unvermittelt.
    »Okay.«
    Wir verlassen das warme Café und tauchen in die kühle Frühlingsluft ein. Für einen Wochentag ist in der Stadt sehr viel los. Ich fühle mich fehl am Platz, und außerdem ist irgendetwas mit Corinna nicht normal. Unser Gespräch bekommt einen schrägen Unterton. Das strengt mich an, und eigentlich will ich jetzt gerne nach Hause.
    »Lass uns doch zum Schwabentor gehen, da steht mein Fahrrad«, sage ich.
    Corinna stimmt zu. Kurz vor dem Stadttor rückt sie dann mit der Sprache heraus.
    »Ich muss dir noch etwas sagen. Ich wollte es dir schon die ganze Zeit sagen, aber es geht dir ja nicht gut«, sie wirft mir einen schnellen Blick zu, »und da habe ich mich nicht getraut.«
    Was soll das? Mir geht es wie immer in letzter Zeit, sie jammert doch auch die ganze Zeit. Und ich höre mir ihre Probleme genauso an wie sie sich meine. Warum muss sie jetzt plötzlich auf mich Rücksicht nehmen? Das habe ich nie von ihr verlangt.
    »Ich habe schon gemerkt, dass irgendetwas los ist«, sage ich.
    »Ich wollte dir sagen, dass ich schwanger bin.«
    Schwanger – das haut mich jetzt um. Mir schießen die Tränen in die Augen, keine Ahnung, warum. Mir war schon klar, dass sie irgendwann Kinder will. Aber dass der Wunsch aktuell ist, wusste ich nicht. Außerdem geht es ihr doch auch nicht gut.
    »War das geplant?«
    »Ja klar, ich wollte schon immer ein Kind. Warum weinst du?«
    Ja, warum weine ich eigentlich? Ich könnte mich doch auch einfach für sie freuen. Aber in mir ist nur Schwärze. Nach ein paar Minuten habe ich mich etwas beruhigt und sage: »Ich bin traurig, weil es mir momentan viel zu schlecht geht, um ein Kind bekommen zu können. Außerdem habe ich natürlich

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