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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Heeg
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zu warten. Wir führen die bereits bekannte Diskussion: Schullandheim, Noten und so weiter. Plötzlich klingelt das Telefon. Mein Mitfahr-Kollege Klaus ist dran.
    »Wie sieht es am Montag aus? Kann ich bei dir zur ersten Stunde mitfahren?«
    »Ich denke schon.«
    Klaus stutzt: »Was heißt das: du denkst schon?«
    Ich bin selbst etwas überrascht. Irgendetwas in mir hat da offensichtlich schon Zweifel, ob ich nächste Woche überhaupt noch in der Schule bin.
    »Wenn sich etwas ändert, rufe ich dich an«, sage ich schnell.
    Klaus lässt aber nicht locker. Schließlich kennt er mich inzwischen ziemlich gut.
    »Was soll sich ändern, warum kannst du es nicht mit Sicherheit sagen? Bist du krank?«
    »Nein, es ist nur so, dass … ach egal«, stammele ich.
    »Evelyn«, er klingt jetzt fast etwas ärgerlich, »das ist nicht egal. Was ist los?«
    »Ich bin einfach ziemlich kaputt«, rücke ich schließlich raus. »Irgendetwas stimmt nicht, und ich überlege, ob ich in stationäre Behandlung soll. Also, eine psychosomatische Reha oder so etwas. Aber eigentlich will ich erst in den Sommerferien.«
    Eigentlich weiß ich selbst nicht mehr so genau, ob ich noch so lange warten kann. Klaus merkt das sofort.
    »Evelyn, wenn du am Montag in die Schule kommst, rede ich kein Wort mit dir. Das kannst du mir glauben. Du bist fertig, also mach etwas. Die Schule läuft auch ohne dich!«
    »Aber –«
    »Vergiss es, bleib daheim, kümmere dich um die Genehmigung und alles, und halte mich auf dem Laufenden. Ich sage am Montagmorgen in der Schule Bescheid, dass du nicht kommst. Tschüs.«
    Ich schaue den Telefonhörer etwas ungläubig an. Er hat tatsächlich einfach aufgelegt. Das ist typisch Klaus. Klar, der hört sich dieses ganze Schullandheimgedöns nicht an. Und er hat ja vollkommen recht. Und seine Drohung, dass er nicht mit mir redet, macht er am Ende noch wahr. Mal ganz abgesehen davon, dass ich die übrigen Schulwochen vermutlich alleine fahren muss. Mist, das setzt mich jetzt richtig unter Druck! Ich kann doch nicht einfach – was denken die Eltern – wie ist das für meine Schüler – ich habe mich doch auch darauf gefreut. All das schießt mir durch den Kopf. So ein Aufenthalt im Schullandheim ist immer ein Highlight für die Kids, das bleibt denen ewig im Gedächtnis. Und auch für mich als Lehrer ist es eine tolle Sache, ich lerne meine Jungs und Mädels besser kennen, außerhalb des 45-Minuten-Takts, ohne Notendruck, ohne den Stoffverteilungsplan im Nacken. Einfach nur die Schüler und die Klassengemeinschaft. Klar, es ist anstrengend, denn die Jugendlichen machen garantiert die Nacht zum Tag, und es ist anstrengend, dort 24 Stunden im Dienst zu sein. Aber man bekommt als Lehrer viel zurück, und vor allem hinterher, in der Schule, ist es ein ganz anderes Arbeiten. Das ist in jedem Fall ein Aufwand, der sich für uns alle lohnt.
    Wobei ich mir eingestehen muss, dass ich im Moment eher Angst vor dieser Woche habe. Wenn ich dort auch nicht schlafen kann, die wenigen Stunden, die ruhig sind – Hölle, Hölle, Hölle! Und danach parallel zum Schuljahresende auch noch eine Genehmigung für den Klinikaufenthalt bei den Ärzten und Krankenkassen durchsetzen? Wer weiß, ob ich dann pünktlich zu Ferienbeginn überhaupt weg kann … Hilfe, das geht alles nicht. Soll ich mich doch gleich krankschreiben lassen?
    Im Nachhinein ist es mir klar: Ich war schließlich in einer Situation gelandet, in der ich es einfach nicht mehr allen recht machen konnte. Nach dem Tod meiner Mutter war aber genau das fast zu meinem Lebensmotto geworden: Es immer allen recht machen. Ich musste und wollte einfach funktionieren, vielleicht auch, um die Trauer zu verdrängen, die bei uns zu Hause sowieso nie Thema war. Meine beiden kleinen Geschwister, teilweise der Haushalt, daneben Gymnasium und später Abitur, es gab immer so viel zu tun. Ich war so früh für so vieles komplett allein verantwortlich. Und wenn etwas nicht klappte, bekam mein Vater nur seine idiotischen Wutanfälle, anstatt mir etwas Druck zu nehmen. Danach ein Studium ohne finanzielle Unterstützung durch ihn, immer mit der Angst im Nacken, später keinen Job zu bekommen, und also der Anspruch, nur die besten Noten abzuliefern: Druck, Druck, Druck – das läuft nun schon seit fünfzehn Jahren so … Komischerweise ging es mir dabei nicht so schlecht wie im Moment, wo es eigentlich gar keinen großen Druck mehr gibt. Aber inzwischen ist meine Energie aufgebraucht.
    Ich drücke mich noch

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