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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Schließlich war sie ganz verschwunden.
     
    Gisela war drin. Sie konnte sich naturgemäß nicht aus der Kugel befreien und herumspazieren – sie war ein Dummy und kein RoboCop. Das einzige, was sie machen konnte, war, die Erkundungskameras zu aktivieren und Messungen vorzunehmen. Ungläubig starrten die Ermittler auf den Bildschirm, der jetzt keine schematische Simulation mehr, sondern das Realbild dieser kleinen Höhle im Fels zeigte. Winzige, aber umso hellere Scheinwerfer tasteten die Felswände ab, die bewegliche Videolinse folgte ihnen. Die Höhle hatte die Größe eines Squashcourts, der Boden war uneben und mit kraterartigen Löcher übersät, zudem unregelmäßig mit Wasser bedeckt, das schmatzend an die Wände schwappte. Die Kugel lag zu einem Drittel im Wasser, sie schwamm jedoch nicht mehr, sie war mehr oder weniger sanft auf Grund gegangen.
     
    »Endlich haben wir gefunden, was wir so lange gesucht haben!«, schrie Nicole Schwattke begeistert und im Überschwang der Jugend.
    »Abwarten«, bremste Jennerwein.
    »Wieso gibt es da so wenig Wasser und so viel Luft?«, fragte Maria.
    »Das kann ich mir auch nicht erklären«, sagte Becker. »Ob das nun wirklich Atemluft ist, das werden wir gleich sehen.«
    Er ließ seine Finger über die Tasten eines Rechners gleiten. Sofort hatte er das Ergebnis.
    »Gute Luft, wie in einer Schulturnhalle vor der ersten Stunde«, sagte Becker. »Keine Ahnung, wie die da unten reinkommt. Die Luft ist sogar ein bisschen salzhaltig. Wie im Inhalationsraum eines Solebades.«
    »Gehen Sie bitte mit der Kamera nochmals ein Stück zurück«, sagte Jennerwein. »Ich habe da eine Unregelmäßigkeit in der Wand gesehen.«
    Becker zoomte, aber Jennerwein konnte die Unregelmäßigkeit nicht mehr finden. Die Sicht war allerdings nicht gut, Nebelschwaden schienen die Höhle zu durchziehen, das Bild war darüber hinaus schwarzweiß und wacklig, schließlich machten die glitzernden Wände eine genauere Ortung unmöglich.
     
    »Ich gehe selbst runter«, sagte Jennerwein.
    »Nein, Sie gehen da nicht runter«, schrie Becker.
    »Um Gottes Willen, Hubertus«, rief Maria entsetzt.
    »Keine Diskussionen«, sagte Jennerwein in einem scharfen Ton, den man so von ihm so noch nie gehört hatte.
    »Nicole!«
    »Ja, hier bin ich! Auch ich halte das für keine gute –«
    »Nicole, Sie packen mir den kleinen Geologenkoffer zusammen. Dazu noch die Wärmebildkamera und das alpine Erste-Hilfe-Set. Ostler, wir beide holen die Kugel mit Gisela wieder raus. Becker, Sie bereiten einen zweiten Tauchgang vor.«
    »Was? Sie wollen doch nicht etwa in der Kugel runter? Die ist nicht gebaut, um Menschen zu transportieren. Es ist viel zu eng da drin. Und wenn die Kugel irgendwo hängenbleibt, können Sie ersticken. Es gibt keine Sauerstoffversorgung –«
    »Wir schaffen das schon«, sagte Jennerwein. »Beeilen Sie sich. Ich bin mir sicher, dass wir dort unten fündig werden.«
    Er begann, sich die Kleider vom Leib zu reißen und sein Neopren mit Gummischuhen und Kopfschutz zu vervollständigen.
    »Ich vertraue ganz auf die Technik. Und auf Sie alle. Und auf mein Gespür.«
    »Na denn«, murmelte Stengele.
     
    Wenige Minuten später, als sich Jennerwein wieder aus der Taucherglocke befreit hatte, sah er, dass er sich genau an der Stelle befand, an der die Kugel mit Gisela vorher hingetragen worden war. Er dehnte und reckte sich, war er doch zwei Minuten zusammengekrümmt gewesen wie ein Fötus. Sein kugeliges Gefährt war so wild durch das Wasser geschleudert worden, dass er trotz der Innenpolsterung hunderttausend derbe Knüffe und Stöße abbekommen hatte. Er blickte sich prüfend um. Die Umgebung war so sensationell, dass er seine Blessuren augenblicklich vergaß. Die Felswände glitzerten verschwenderisch wie die mit Edelsteinen besetzten Schlafzimmerwände des Scheichs von Bahrain. Jennerwein betastete die sechseckigen, schuppigen Kristalle. Sie wechselten zwischen bleigrau und blauviolett, dazwischen blitzte pralles, erzhaltiges Gestein auf. Waren das die Molybdän-Vorkommen, von denen Becker gesprochen hatte? Er schnupperte. Die Luft war würzig und frisch. Es war kühl hier unten, aber nicht kalt. Ideale Lebensbedingungen, dachte Jennerwein. Er bückte sich und fächelte sich mit der Hand die gelblichen Dämpfe zu, die aus dem Wasser stiegen. Schwefel? Er kostete eine Hand voll von dem Wasser: Auch das war klar und ohne Beigeschmack. Jetzt gab er das Alles-in-Ordnung-Signal an sein Team ab. Sie hatten

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