Oberwasser
lag der Kurort, friedlich und verträumt in der Abenddämmerung.
»Wieso Höllental? Wohnt denn der Teufel da?«, hatte er als Bub seine Oma gefragt.
»Nein, der wohnt in Rom«, hatte die Oma erwidert.
Der Kommissar hatte beschlossen, Dr. Rosenberger vorerst keine Mitteilung von der heutigen Aktion zu machen. Er wollte seinen Chef nicht in die Zwangslage bringen, diesen Einsatz mitverantworten zu müssen. Eigentlich hätte er ein spezielles Einsatzteam anfordern müssen, Hubschrauber, Kampftaucher, das ganze Programm. Aber er hatte beschlossen, die Sache alleine durchzuziehen. Und das Team stand hinter ihm. Das Funkgerät knisterte und spotzte. Alles o.k. bei euch oben? Alles klar: Stengele näherte sich schon dem unteren Waldrand, Maria und Ostler waren oben auf dem ehemaligen Grubenweg (Maria kannte jetzt sicher alle, aber auch alle Wilderergeschichten aus dem Kurort), Nicole und Becker verließen gerade den Stangensteig und stiegen ab in die Klamm. Jennerwein war an der Pforte der unteren Eingangshütte angekommen, die Kassenkraft würde ihn wahrscheinlich erkennen, aber das spielte auch keine Rolle. Er zahlte seine drei Euro Eintritt. Er ließ sich keine Quittung geben – kleine Spende an den Freistaat Bayern.
Als Jennerwein die ersten paar Schritte in die Klamm gegangen war, meldete sich Ostler. Er war sehr aufgeregt. Die Verbindung brach öfters ab, Jennerwein verstand nicht gleich.
»Wir haben hier einen überraschenden Fund gemacht«, schrie Ostler. »Hören Sie mich … hören Sie mich … Bitte melden! Wir befinden uns hier am Grubenweg, etwa einen halben Kilometer vom oberen Eingang entfernt.«
»Ja«, schaltete sich Maria ein. »Hier liegt ein gelbes Boot, ein Kanu, ein Ruderboot oder sowas, es war in einem der alten Grubeneingänge versteckt. Unser Metalldetektor hat auf darin gelagerte Geräte angesprochen.«
Während des Redens verdoppelte Jennerwein seine Schritte.
»Haben Sie die Umgebung abgegrast? Vielleicht ist noch jemand in der Nähe?«
»Nein, bestimmt nicht, wir haben uns vergewissert«, rief Ostler. »Das Boot ist ziemlich verkratzt, aber es ist etwas Supermodernes, ich kenne mich da nicht so aus. Es liegen auch technische Geräte drin, militärisches Zeug.«
»Wie bitte?«
»Nein, keine Waffen, das nicht, aber Nachtsichtgeräte, Scheinwerfer, Tarnnetze und so was.«
Das konnte Jennerwein trotzdem nicht beruhigen.
»Haben Sie die Umgebung wirklich abgegrast? Ist tatsächlich niemand in der Nähe?«
»Wir haben die Gegend genau abgesucht. Außerdem stehen wir etwas erhöht, auf einem Hügel, wir haben einen guten Überblick, es ist niemand in der Nähe.«
»Ich bin gleich da«, sagte Jennerwein. »Bringen Sie das Boot mit runter zu unserer Operationsbasis. Becker soll sich gleich darüber hermachen.«
Jennerwein schaltete trotz des schweren Rucksacks auf Laufschritt um. Da war etwas faul. Oberfaul.
57 .
Konrad Finger sprang schnell aus dem Bett. Natürlich, es konnte auch ein Tier gewesen sein, ein Marder zum Beispiel, der sich an den Gummiteilen seines Bootes zu schaffen gemacht hatte. Er musste trotzdem nachsehen, was da los war, er konnte nicht riskieren, dass ein paar betrunkene Jugendliche irgendeinen Unsinn damit anstellten. Verdammt nochmal, er hatte das Kajak so gut versteckt! Er hatte eine Alarmanlage installiert. Sobald der Bewegungsmelder ansprang, sendete eine Videokamera mit Long Range System ein Bild auf seinen Computer. Er hatte immer ruhig schlafen können deswegen. Jetzt hatte sich wahrscheinlich ein Marder darin verheddert. Hoffentlich nur ein Marder. Auf dem Bildschirm sah er nur, dass das Abdecknetz heruntergerissen war, das Kajak lag ruhig und still da. Trotzdem musste er nachsehen, was los war. Fluchend stieg er in seine Kleidung. Eigentlich hatte er vorgehabt, erst um Mitternacht in die Klamm zu gehen, da schien der Mond prächtig, und er wurde nicht von späten Wanderern oder Bergwachtlern gestört, die sich manchmal dort oben herumtrieben. Er hatte vorgehabt, sich noch ein bisschen aufs Ohr zu legen, und dann das große Ding zu starten. Dann eben jetzt gleich, auch egal. Er fuhr mit dem Auto bis zum Parkplatz am Fuß des Berges, dann machte er sich auf den Weg in die Klamm. Kein Mensch kam ihm entgegen, Dunkelheit legte sich langsam über das Land. Rot und bedrohlich schlingerten drei riesige Föhnlinsen über den Waxensteinen. Finger beachtete sie nicht. Er kam langsam außer Atem. Hoffentlich waren es Marder. Und keine Vandalen,
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