Oberwasser
zugedröhnte Outlaws oder einfach ganz normale Idioten, die ihm das teure Boot aus Jux und Dollerei kaputtmachten. Dabei war bisher alles gut gegangen. Zu Beginn seiner Exkursionen hatte er das ganze Zeug einschließlich Boot immer wieder heruntergeschleppt, bis er den Eingang des in sich zusammengefallenen Stollens entdeckt hatte. Es war ein wunderbarer Platz, das Boot und die Geräte darin zu parken, er hatte das jetzt schon ein Dutzend Mal gemacht, und es war immer gutgegangen. Verdammt, ausgerechnet heute musste etwas schiefgehen!
Er ging natürlich auf seinem geheimen Schleichweg. Oben auf dem Stangensteig fiel sein Blick talabwärts, den Weg hinunter, der in die Klamm führte. Dort hatte er flüchtig etwas blitzen sehen, eine Spiegelung, ein Metallstück, vielleicht war es auch nur das Wasser, das an den Fels schlug. Doch die Neugier hatte ihn gepackt. Mal nachsehen schadete ja nichts, dachte Finger. Die Eisenbrücke, die über die Schlucht führte, und von der aus man einen Großteil der Klamm überblicken konnte, war nicht weit. Als er auf der Brücke stand und hinuntersah in die halbdunkle Schlucht, wäre er vor Schreck fast gestrauchelt. Er musste sich am Geländer festhalten. Dort drunten hatte sich ein halbes Dutzend dunkel gekleideter Gestalten versammelt, sie sprangen scheinbar ungezielt umher, gestikulierten wild herum und rissen Geräte aus großen Aluminiumkoffern. Was um Gottes Willen waren denn das für welche? Finger legte sich auf den Bauch und rutschte an den Rand der Brücke, um die Szene besser beobachten zu können und selbst nicht gesehen zu werden. Er konnte die Gesichter der Gestalten nicht erkennen, sie waren etwa zweihundert oder zweihundertfünfzig Meter entfernt. Dann nahm einer von ihnen eine junge Frau, die am Boden gelegen hatte, auf die Arme und steckte sie in das Innere einer großen Halbkugel. Ihre langen Haare hingen herunter, der Mann stopfte sie roh hinein. Das Behältnis wurde mit einer anderen Halbkugel geschlossen und, soweit er das aus der Entfernung sehen konnte, verschraubt. Die Kugel wurde verschlossen, verdammt nochmal! Und dann ließen sie die Kugel ins eiskalte, gischtsprühende Wasser gleiten. Er hatte einen Mord beobachtet. Einen besonders perfiden Mord, die Frau mit den langen Haaren war vermutlich bei lebendigem Leib ertränkt worden! Hastig griff er in seine Tasche und holte mit zittrigen Fingern sein Mobiltelefon heraus. Er tippte die Notrufnummer ein. Das Freizeichen ertönte, er drückte auf die Stopp-Taste. Er fingerte in seiner Geldbörse herum und fischte seine Prepaid-Karte heraus, sicherheitshalber. Nur sicherheitshalber. Es war gar nicht so leicht, sie im Dunkeln einzusetzen, aber er schaffte es. Er wählte nochmals die Notrufnummer.
»Polizeiobermeister Franz Hölleisen.«
»Ich habe – ich möchte –«
»Wissen Sie was, jetzt sagen Sie mir zuerst Ihren Namen, dann Ihre Adresse.«
»Sie müssen mir glauben – eine Frau mit langen Haaren –«
»Ganz ruhig. Bedrängt Sie jemand? Können Sie nicht frei reden?«
»Doch, mir geht es gut. Ich kann reden. Ich habe einen Mord beobachtet.«
»Wo denn?«
»In der Höllentalklamm.«
»Sie sind in der Höllentalklamm? Wo da genau?«
»Eine Frau wurde ins Wasser geworfen.«
Hölleisen überlief es heiß und kalt. Jetzt durfte er nichts Falsches sagen. Er musste unbedingt den Namen und die Adresse dieses Mannes herausbekommen.
»Wie heißen Sie?«
»Aber so machen Sie doch was! Schicken Sie jemanden! Genau in der Mitte der Klamm!«
»Ja, es ist schon jemand unterwegs«, sagte Hölleisen so ruhig wie möglich. »Es kommen gleich Hubschrauber. Und jetzt sagen Sie mir bitte Ihren Namen! Bitte!«
Hölleisen spürte, dass er so nicht weiterkam. Er änderte seine Taktik. Er schlug einen schärferen, amtlicheren Ton an.
»Ich werde niemanden schicken, bevor Sie mir nicht Ihren Namen sagen.«
»Es ist ein Mord geschehen. Ein Mensch ist in die Fluten gestürzt worden.«
Hölleisen schaltete noch einen Gang hoch.
»Wissen Sie, wenn wir jedem Hinweis nachgingen, dass irgendwo irgendwer herunter gefallen ist, dann hätten wir viel zu tun. Sie müssen mir schon Ihre genau Position –«
Der Mann hatte aufgelegt. Verdammt nochmal, das war aber richtig schief gegangen. Sie hatten einen Zeugen. Und sie wussten nicht, wo der sich befand. Hölleisen rief Jennerwein an und machte ihm Mitteilung.
»Dann müssen wir hier umso schneller arbeiten!«, antwortete dieser. »Ich melde mich
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