Oberwasser
noch angreift da oben.«
»Ich weiß nicht so recht. Wir sollten uns da lieber raushalten.«
»Wir könnten einen Spaziergang machen, zum Stangensteig hinauf. Von der Eisenbrücke aus sieht man direkt in die Klamm. Täte uns auch gar nicht schaden, so ein Spaziergang.«
55 .
»Ein Ring, sie zu knechten,
sie alle zu finden,
ins Dunkel zu treiben
und ewig zu binden.«
Oliver Krapf hatte einige elektronische Gags in seinem Zimmer eingebaut, das eben war einer davon. Wenn sich die Tür öffnete, ertönte das Zitat aus dem Film
Herr der Ringe
. Auch jetzt, wo er nur eine Pizza geholt hatte. Damit natürlich nicht genug. Wenn er den Duschhahn aufdrehte, erklang das MiepMiep-Geschrubbe aus Hitchcocks
Psycho
. Wenn er irgendwo in der Wohnung war und »Rübenbrei« sagte, gingen alle Lichter aus. Krapf, das Mischwesen aus einem Abiturienten und einer 2 -Terabyte-Festplatte, diese Eiweiß-Edelstahl-Legierung hatte aber momentan kein Auge dafür.
Er war im Loisachtal angekommen. Natürlich nicht real, sondern im Netz. Er klickte auf die Online-Ausgabe der örtlichen Zeitung, der Loisachtaler Allgemeinen.
Polizeipsychologin stört Alpensinfonie von Richard Strauss!
war da in einer Schlagzeile zu lesen. Wer um Gottes Willen war Richard Strauss? Klick, aha, Komponist vor Ort. Noch nie Musik von dem gehört. Er downloadete aus dem Internet einen mp 3 -Song des Komponisten.
♫ Und morgen wird die Sonne wieder scheinen …
Schade um die 99 Cent, dachte Krapf. Wen konnte er damit ärgern? Er leitete das Lied an Tina weiter.
Dann stöberte er weiter in der Onlinezeitung der
Loisachtaler Allgemeinen
, einfach nur, um einen groben Eindruck von diesem Menschenschlag zu bekommen. Klick, klick – da schien sich ja momentan ein verschärftes Wildererdrama im Ort abzuspielen, richtig mit Holldrijöö und so. Na, die hatten vielleicht Sorgen! Ein lustiges Völkchen war das schon, da unten im Süden. Föhn gut und schön, aber Südbayern war doch immer noch Mitteleuropa, oder etwa nicht? Ein Zeitungshengst mit Namen Manuel Ringseis hatte einen Leitartikel geschrieben: Kriminalhauptkommissar Hubertus Jennerwein hat mit seinem Team die Ermittlungen aufgenommen. Krapf notierte sich den Namen des Kommissars und bookmarkte die Mailadresse des örtlichen Polizeireviers. Sollte er bei seinen Recherchen wieder in Gefahr kommen so wie in Málaga, dann wüsste er gleich, an wen er sich zu wenden hatte.
Er stöberte weiter in der örtlichen Zeitung. Eine Legende aus dem Loisachtal also. Ein Flößerlied über einen Quirin Roesch, der um Achtzehnzwanzig herum verunglückt sein soll. Verdammt lang her also. Die Flößerburschen hießen Quirin Roesch und Luitpold Grasegger, ihre Flößerbräute Eusebia und Agnes. Das waren Namen damals! Schon was anderes als Leonie und Kevin. Er musste unbedingt den vollständigen Text des Liedes haben, zwanzig Strophen waren es angeblich. Er fand schnell Seppelmusikgruppen, die es gesungen hatten: Die Herbratzederdorfer Dirndln, der Truderinger Dreigesang, der Appenreuschler Viergsang – aber jetzt stieß Krapf eindeutig an die Grenzen des Netzes – es gab den Song nirgends, auf keinem Tonträger, also nirgends. Waren diese Herbratzederdorfer Lederhosenträger vielleicht Puristen, so etwas wie gewisse Rapper, die prinzipiell keine Audioaufnahmen zuließen? Die ausschließlich live rappten? Und wenn sie jemanden im Konzert mit einem Mic erwischten, gabs schwere Keile? Sollte er wirklich hinfahren in diesen Kurort und das Lied, ganz gothicmäßig, von einem verwitterten Grabstein ablesen? Nein, er wollte nicht mehr den Fehler machen, einfach loszubrettern, ohne nachzudenken. Diesmal wollte er vorab genau recherchieren. Er war ein kluger Junge. Er biss in die Pizza. Stand er jetzt kurz vor einer sensationellen Entdeckung? Nein? Ja? Jetzt kam auch noch eine SMS von Tina. Er öffnete sie nicht, wahrscheinlich eine freche Antwort wegen des Richard-Strauss-Songs. Er würde später nachschauen.
Oliver saß mit dem Rücken zur Eingangstür seiner Wohnung. Die Klinke wurde jetzt langsam heruntergedrückt. Eine muskulöse Hand schob die Tür Zentimeter für Zentimeter auf. Aus den Lautsprechern dröhnten die Jodler der Herbratzederdorfer Dirndl. Die Tür öffnete sich weiter. Eine weitere Hand erschien, und noch ein Kopf dazu. Dann noch zwei Hände und ein weiterer Kopf.
»Bistjagarnichtbraungeworden«, rief sein Vater und trat mit seiner Mutter ganz ins Zimmer.
»Was soll denn das! Ihr habt
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