Oblomow
vorwurfsvoll.
»Nun, sagen Sie, was ich zweitens tun soll, damit Sie sich nicht langweilen?« fragte sie.
»Singen Sie!« sagte er.
»Das ist das von mir erwartete Kompliment!« rief sie freudig errötend aus. »Wissen Sie«, fuhr sie dann lebhaft fort, »wenn Ihnen vorgestern nach meinem Gesang nicht dieses ›Ach!‹ entschlüpft wäre, könnte ich, wie mir scheint, die ganze Nacht nicht schlafen und würde vielleicht weinen.«
»Warum?« fragte Oblomow erstaunt.
Sie sann nach.
»Ich weiß selbst nicht«, sagte sie dann.
»Sie sind ehrgeizig; wohl deshalb.«
»Ja, natürlich deshalb«, sagte sie, nachdenklich die Tasten mit einer Hand berührend. »Der Ehrgeiz ist ja überall und in großem Maße zu finden. Andrej Iwanowitsch sagt, daß er fast die einzige treibende Kraft ist, die den Willen beherrscht. Sie haben wohl keinen Ehrgeiz, darum ...«
Sie sprach nicht zu Ende.
»Was denn?« fragte er.
»Nein, nichts!« suchte sie zu vertuschen. »Ich liebe Andrej Iwanowitsch«, sprach sie weiter, »nicht weil er mich lachen macht – manchmal weine ich, wenn er mit mir spricht – und nicht weil er mich liebt, sondern ich glaube, weil ... er mich mehr als die anderen liebt. Sehen Sie, wieweit der Ehrgeiz reicht!«
»Sie lieben Andrej?« fragte Oblomow sie und versenkte seinen gespannten, prüfenden Blick in ihre Augen.
»Ja, gewiß, wenn er mich mehr als die anderen liebt, tu ich's um so mehr!« antwortete sie ernst.
Oblomow blickte sie schweigend an und begegnete ihrem einfachen, schweigenden Blick.
»Er liebt auch Anna Wassiljewna und Sinaida Michailowna, aber nicht so«, fuhr sie fort, »er wird mit ihnen nicht zwei Stunden lang sitzen, wird sich nicht die Mühe geben, sie zum Lachen zu bringen und ihnen etwas Intimes zu erzählen; er spricht mit ihnen von Geschäften, vom Theater, von den Neuigkeiten, und mit mir spricht er wie mit einer Schwester ... nein, wie mit einer Tochter«, fügte sie eilig hinzu; »manchmal schilt er sogar, wenn ich etwas nicht sofort verstehe oder nicht gehorche oder mit ihm nicht einverstanden bin. Die anderen schilt er aber nicht, und mir scheint, ich liebe ihn dafür noch mehr. Der Ehrgeiz!« sagte sie dann sinnend, »ich weiß gar nicht, wie er jetzt in meinen Gesang hineingeraten ist? Man sagt mir darüber schon lange viel Schönes, und Sie wollten mir gar nicht zuhören, man hat Sie fast dazu gezwungen. Und wenn Sie dann fortgegangen wären, ohne mir ein Wort zu sagen, wenn ich in Ihrem Gesichte nichts gelesen hätte ... würde ich, scheint mir, krank geworden sein ... ja, gewiß, das ist Ehrgeiz!« schloß sie mit Bestimmtheit.
»Und haben Sie denn auf meinem Gesichte etwas bemerkt?« fragte er.
»Tränen, wenn Sie sie auch verbergen wollten; es ist eine schlechte Eigenschaft der Männer, ihre Gefühle verbergen zu wollen. Das ist auch Ehrgeiz, nur ein falscher. Sie sollten sich manchmal lieber ihrer Vernunft schämen; diese irrt häufiger. Sogar Andrej Iwanowitsch hat ein schamhaftes Herz. Ich habe es ihm gesagt, und er hat es zugegeben. Und Sie?«
»Was würde man denn nicht zugeben, wenn man Sie anblickt!« sagte er.
»Wieder ein Kompliment! Und was für ein ...« Sie fand das Wort nicht.
»... banales!« sagte Oblomow, ohne den Blick von ihr abzuwenden.
Sie bestätigte durch ein Lächeln die Bedeutung des Wortes.
»Das habe ich ja befürchtet, als ich Sie nicht bitten wollte zu singen ... Was kann man sagen, wenn man zum ersten Male zuhört? Und man muß doch etwas sagen. Es ist schwer, zugleich gescheit und aufrichtig zu sein, besonders in Gefühlssachen und unter dem Bann eines solchen Eindruckes, wie damals ...«
»Und ich habe damals wirklich so gesungen, wie schon lange nicht, vielleicht sogar wie noch nie ... Bitten Sie mich nicht, ich werde nicht mehr so singen ... Warten Sie, ich singe Ihnen nur eines ...« sagte sie, und ihr Gesicht schien in dem Augenblicke aufzuflammen, die Augen begannen zu leuchten, sie setzte sich auf den Sessel, schlug zwei, drei laute Akkorde und sang.
O Gott, was war in diesem Gesange alles zu hören! Hoffnungen, dunkle Furcht vor Sturm, der Sturm selbst, das Streben nach Glück – das alles erklang nicht im Liede, sondern in ihrer Stimme. Sie sang lange, sich ab und zu nach ihm umwendend und kindlich fragend: »Genug? Nein, noch das?« und sie sang weiter. Ihre Wangen und Ohren glühten vor Erregung; manchmal leuchtete auf ihrem Gesicht das Spiel von Gefühlsblitzen und flammte der Strahl einer so reifen Leidenschaft
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