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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Gontscharow
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auf, als ob sie in ihrer Seele eine ferne, künftige Zeit des Lebens durchlebte, und dann erlosch dieser flüchtige Strahl, und die Stimme klang wieder frisch und silberhell. Auch Oblomow durchlebte dasselbe; ihm schien, er hörte und fühlte das alles nicht eine oder zwei Stunden lang, sondern ganze Jahre ... Sie wurden beide, äußerlich reglos, von einem inneren Feuer verzehrt und erzitterten von den gleichen Schauern; in ihren Augen waren Tränen, die die gleiche Stimmung hervorgerufen hatte.
    Das alles waren die Anzeichen jener Leidenschaften, die einst in Oljgas junger Seele erwachen sollten, die jetzt nur zeitweise von flüchtigen Regungen und von kurzem Aufblitzen der schlafenden Lebenskräfte aufgerüttelt wurde. Sie schloß mit einem langen, klangvollen Akkord, und ihre Stimme ging darin unter. Sie hörte plötzlich ermüdet auf, legte die Hände in den Schoß und blickte selbst ganz aufgeregt Oblomow an, wie er sich wohl demgegenüber verhalte? Auf seinem Gesicht leuchtete das Morgenrot des erwachenden, vom Grunde seiner Seele aufsteigenden Glückes; sein tränenvoller Blick war auf sie gerichtet.
    Jetzt ergriff sie unwillkürlich seine Hand.
    »Was haben Sie?« fragte sie. »Was machen Sie für ein Gesicht! Warum?«
    Doch sie wußte, warum er ein solches Gesicht machte, und triumphierte innerlich in aller Bescheidenheit über diesen Ausdruck ihrer Macht.
    »Schauen Sie in den Spiegel«, fuhr sie fort, ihm lächelnd sein Gesicht im Spiegel zeigend. »Ihre Augen glänzen, mein Gott, es sind Tränen darin! Wie tief Sie Musik empfinden!«
    »Nein, ich empfinde ... keine Musik ... sondern ... Liebe!« sagte Oblomow leise.
    Sie ließ seine Hand augenblicklich los und wechselte die Gesichtsfarbe. Ihr Blick begegnete dem seinigen, der auf sie gerichtet war. Dieser Blick war reglos und fast wahnsinnig; er ging nicht von Oblomow, sondern von der Leidenschaft aus. Oljga begriff, daß dieses Wort ihm entschlüpft war, daß er darüber keine Macht hatte, und daß darin die Wahrheit war.
    Er kam zur Besinnung, ergriff den Hut und lief, ohne sich umzuwenden, aus dem Zimmer. Sie begleitete ihn nicht mehr mit einem neugierigen Blick, sondern blieb lange, ohne sich zu bewegen, wie eine Statue am Klavier stehen und schaute starr zu Boden; nur ihre Brust hob und senkte sich heftig ...
Sechstes Kapitel
    Oblomow hatte inmitten seines trägen Liegens in bequemen Stellungen, inmitten des dumpfen Hindämmerns und des begeisterten Aufschwunges seiner Seele immer von der Frau als der Gattin, niemals aber als der Geliebten geträumt. In seiner Phantasie schwebte die Gestalt einer großen, schlanken Frau, mit ruhig auf der Brust gekreuzten Armen, mit einem stillen, aber stolzen Blick, sie saß nachlässig inmitten von Schlingpflanzen in der Allee oder schritt leicht über den Teppich oder den Sand der Allee hin mit sich wiegender Taille, mit einem graziös auf den Schultern sitzenden Kopf, mit sinnendem Ausdruck – als ein Ideal, als eine Verkörperung des ganzen Lebens, das von Zärtlichkeit und feierlicher Ruhe erfüllt ist, als die Ruhe selbst. Er sah sie im Traume zuerst ganz in Blumen, mit einem langen Schleier am Altar, dann mit schamhaft gesenkten Augen am Kopfende des Ehebettes, endlich als Mutter, inmitten einer Kindergruppe. Er sah auf ihren Lippen ein leidenschaftsloses Lächeln, das für ihn, ihren Gatten, Sympathie bedeutete und allen anderen gegenüber Nachsicht ausdrückte; ihr Blick war nicht feucht von Wünschen, er war nur dann wohlwollend, wenn er sich ihm zuwandte, allen anderen gegenüber aber war er schamhaft und selbst streng. Er wollte in ihr niemals ein Beben sehen, sie niemals bei einem heißen Traum, bei plötzlichem Weinen, Sehnen, bei Ermattung und dann bei einem wilden Übergang zur Freude überraschen. Sie durfte nicht plötzlich erbleichen, in Ohnmacht fallen, erschütternde Gefühlsausbrüche erleiden ... »Solche Frauen haben Liebhaber«, sagte er, »und sie verursachen große Unannehmlichkeiten; man muß den Arzt holen, sie ins Bad schicken und eine Menge verschiedener Launen erfüllen. Man kann nicht ruhig schlafen! Aber man schläft ruhig neben einer stolzen, schamhaften, ruhigen Gefährtin. Man schläft ruhig mit der Gewißheit ein, beim Erwachen demselben sanften, sympathischen Blick zu begegnen.« Und sein warmer Blick würde auch nach zwanzig, dreißig Jahren demselben sanften, still leuchtenden Strahl der Sympathie in ihren Augen begegnen. Und so bis zum Grab! Ist es denn nicht das heimliche

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