Oblomow
Ziel eines jeden, im geliebten Menschen den unwandelbaren Ausdruck von Ruhe, das ewige, gleichmäßige Strömen des Gefühls zu sehen? Das ist ja die Norm der Liebe, und sowie wir von ihr abweichen, sie verändern und sie abkühlen, leiden wir, folglich ist mein Ideal das allgemein menschliche! dachte er. Ist das nicht die Vollendung, die Klarlegung der Beziehungen der Geschlechter? Der Leidenschaft einen gesetzmäßigen Ausgang zu eröffnen; ihr wie einem Fluß zum besten eines ganzen Landes den Lauf vorzuzeichnen, das ist eine Aufgabe, welche die allgemeine Wohlfahrt zum Ziele hat, das ist der Gipfel des Fortschrittes, dem alle Vordermänner zustreben, aber den sie nicht zu erreichen vermögen. Wenn diese Aufgabe gelöst ist, gibt es keinen Verrat, keine Abkühlung mehr, dann beginnt das ewig gleichmäßige Schlagen des ruhigen, glücklichen Herzens, folglich auch ein wenig inhaltreiches Leben, das einen ewigen Zufluß an Säften erhält, und eine ewige moralische Gesundheit. Es gibt Beispiele eines solchen Glückes, sie sind aber selten, und man weist auf dieselben als auf ein Phänomen hin. Man sagt, man muß dazu geboren sein. Und wer weiß, ob man dazu nicht erzogen werden und es nicht bewußt anstreben kann? ... Die Leidenschaft! Das alles ist nur in Gedichten und auf der Bühne schön, wo die Schauspieler in Gewändern mit Dolchen herumspazieren, und wo dann die Gemordeten und die Mörder zusammen Abendbrot essen ... Es wäre gut, wenn auch die Leidenschaften so endeten, es bleibt aber gewöhnlich Rauch und Gestank zurück, und das Glück kommt nicht! Und bei den Erinnerungen daran schämt man sich nur und möchte sich das Haar ausreißen. Wenn man aber doch von einem solchen Unglück, von der Leidenschaft, betroffen wird, ist es, wie wenn man auf eine schlechte, bergige, unfahrbare Straße gerät, auf der die Pferde fallen und der Insasse ermattet, während der Heimatort schon in Sicht ist; man darf ihn nicht aus dem Auge lassen und muß so schnell als möglich aus der gefährlichen Stelle herauszukommen suchen ... »Ja, die Leidenschaft muß in der Heimat eingedämmt, erstickt und ertränkt werden.«
Er wäre entsetzt vor der Frau geflohen, die ihn mit dem Blick versengt hätte oder die aufgestöhnt hätte und mit geschlossenen Augen auf seine Schulter gesunken wäre, um dann nach Wiedererlangung der Besinnung seinen Hals zum Ersticken mit den Armen zu umschlingen ... Das ist ein Feuerwerk, die Explosion eines Pulverfasses; und was folgt dann? Betäubung, Verblendung und versengtes Haar!
Wollen wir uns aber betrachten, was für ein Wesen Oljga war.
Lange Zeit, nachdem ihm das Bekenntnis entschlüpft war, blieben sie nicht mehr unter vier Augen. Er versteckte sich wie ein Schulknabe, sowie er Oljga erblickte. Sie hatte ihr Benehmen ihm gegenüber verändert, mied ihn aber nicht und war auch nicht kalt, sie erschien nur nachdenklicher. Es hatte den Anschein, als bedauerte sie, daß etwas vorgefallen war, das sie daran hinderte, Oblomow durch den auf ihn gerichteten neugierigen Blick zu quälen und gutmütig über sein Liegen, seine Trägheit und Ungeschicklichkeit zu spotten ... In ihr erwachte die Lust zu necken; das war aber die Neckerei einer Mutter, die beim Anblicke einer komischen Kleidung ihres Sohnes ein Lächeln nicht unterdrücken kann. Stolz war verreist, und sie langweilte sich, weil sie niemand vorsingen konnte; ihr Klavier blieb geschlossen, mit einem Worte, sie waren beide befangen, von Fesseln belastet und fühlten sich unbehaglich. Und wie schön es anfangs gewesen war. Wie einfach sie Bekanntschaft geschlossen, wie frei sie sich einander genähert hatten! Oblomow war einfacher und gutmütiger als Stolz, wenn er sie auch nicht so zum Lachen brachte, oder er tat es durch seine eigene Person und verzieh so leicht ihren Spott. Außerdem übergab Stolz beim Abreisen Oblomow ihrer Obhut und bat sie, ihn zu beaufsichtigen und am Zuhausesitzen verhindern. In ihrem klugen, hübschen Köpfchen hatte sich schon ein eingehender Plan entwickelt, wie sie Oblomow den Nachmittagsschlaf abgewöhnen würde; sie würde ihm nicht nur das Schlafen, sondern sogar das Liegen auf dem Sofa bei Tag verbieten; sie wollte ihm das Versprechen abnehmen. Sie malte sich aus, wie sie ihm die Bücher, die Stolz zurückgelassen hatte, zu lesen befehlen würde, dann müßte er täglich die Zeitungen lesen und ihr die Neuigkeiten erzählen, in das Dorf Briefe schicken, den Plan der Einrichtung des Gutes zu Ende schreiben,
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