Oblomow
zusammenkommt, beherrscht er gleich alles und spielt darauf wie auf einem Musikinstrument ... Und ich? ... Ich werde nicht einmal mit Sachar fertig ... und auch mit mir selbst nicht ... ich bin Oblomow! Stolz! O Gott! ... sie liebt ihn ja, dachte er entsetzt, sie hat es selbst gesagt; wie einen Freund, sagt sie; das ist aber eine Lüge, vielleicht eine unbewußte. Zwischen Mann und Weib gibt es keine Freundschaft ... Er ging immer langsamer, von Zweifeln überwältigt. Und was, wenn sie mit mir kokettiert? ... Wenn es nur ... Er blieb endgültig stehen und erstarrte für einen Augenblick. Und was, wenn das Tücke und Verschwörung ist ... Und wie komme ich darauf, daß sie mich liebt? Sie hat es mir nicht gesagt; das ist das teuflische Flüstern der Eitelkeit! Andrej, ist's möglich? ... Das kann nicht sein ... sie ist so, so ... »So ist sie!« sagte er plötzlich freudig, Oljga, die ihm entgegenkam, erblickend.
Oljga streckte ihm mit einem fröhlichen Lächeln die Hand hin. Nein, sie ist nicht so, sie ist keine Betrügerin, beschloß er, die Betrügerinnen haben keinen solchen freundlichen Blick; sie lachen nicht so von Herzen ... sie kichern nur ... aber ... sie hat mir doch nicht gesagt, daß sie mich liebt! dachte er plötzlich wieder erschrocken; er hatte sich das nur so gedeutet ... Woher kam aber der Ärger? ... O Gott! In welchen Sumpf bin ich hineingeraten!
»Was haben Sie?« fragte sie.
»Einen Zweig.«
»Was für einen Zweig?«
»Sie sehen: einen Fliederzweig.«
»Wo haben Sie ihn her? Dort, wo Sie gegangen sind, gibt es keinen Flieder.«
»Sie haben ihn vorhin gepflückt und dann hingeworfen.«
»Warum haben Sie ihn aufgehoben?«
»So, mir gefällt es, daß Sie ihn ... so ärgerlich hingeworfen haben.«
»Ihnen gefällt der Ärger? Das ist etwas ganz Neues! Warum denn?«
»Das sage ich nicht.«
»Sagen Sie's doch, ich bitte ...«
»Um nichts in der Welt, um keinerlei Schätze!«
»Ich flehe Sie an!«
Er schüttelte verneinend den Kopf.
»Und wenn ich singe?«
»Dann ... vielleicht ...«
»Also nur Musik wirkt auf Sie!« sagte sie mit gerunzelter Stirn. »Das ist also doch so?«
»Ja, Musik, die durch Sie wiedergegeben wird.«
»Nun gut, ich werde singen ... Casta diva, Casta di ... « begann sie Normas Arie und schwieg.
»Also sprechen Sie jetzt!« sagte sie.
Er kämpfte eine Zeitlang mit sich.
»Nein, nein!« beschloß er noch entschiedener als vorher, »um nichts in der Welt ... niemals! Und wenn das nicht wahr ist, wenn es mir nur so geschienen hat? ... Niemals, niemals!«
»Was ist das? Etwas Furchtbares«, sagte sie, ihre Gedanken auf diese Frage und einen forschenden Blick auf ihn richtend.
Dann verbreitete sich allmählich die Erkenntnis über ihre Züge; in jede Linie drang der Strahl des Denkens ein, und plötzlich erhellte sich ihr ganzes Gesicht durch eine Vermutung ... So beleuchtete die Sonne, aus einer Wolke hervortretend, allmählich einen Strauch, dann einen zweiten, das Dach und überströmte plötzlich die ganze Landschaft mit ihrem Licht. Sie wußte schon, woran Oblomow dachte.
»Nein, nein, meine Zunge würde sich nicht bewegen ...« beteuerte Oblomow. »Fragen Sie lieber nicht.«
»Ich frage Sie nicht«, antwortete sie gleichgültig.
»Wieso? Sie haben doch soeben ...«
»Kommen Sie«, sagte sie ernst, ohne ihm zuzuhören, »meine Tante wartet.«
Sie schritt voraus, ließ ihn bei der Tante zurück und ging geradeaus in ihr Zimmer.
Achtes Kapitel
Dieser ganze Tag war ein Tag der Enttäuschungen für Oblomow. Er verbrachte ihn in der Gesellschaft von Oljgas Tante, einer sehr klugen, anständigen Frau, die stets sehr gut gekleidet war, stets ein neues Seidenkleid trug, das ausgezeichnet saß und einen sehr eleganten Spitzenkragen hatte; ihre Haube war auch geschmackvoll gemacht, und das Band war kokett ihrem fast fünfzigjährigen, aber noch frischen Gesicht angepaßt. An einer Kette hing ein goldenes Lorgnon. Ihre Bewegungen waren voller Würde; sie drapierte sich sehr geschickt in einen kostbaren Schal, stützte sich in einem passenden Moment auf das gestickte Kissen und streckte sich so majestätisch auf dem Sofa aus. Man sah sie niemals bei einer Arbeit; sich bücken, nähen, sich mit einer Nichtigkeit abgeben, paßte nicht zu ihrem Gesicht, zu ihrer würdevollen Gestalt. Sie erteilte den Dienstboten die Befehle in einem nachlässigen Tone, kurz und trocken. Sie las manchmal, schrieb niemals, sprach aber gut, übrigens meistens französisch. Doch
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