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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Gontscharow
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machte sich niemals auch nur der Schatten eines Mißvergnügens bemerkbar. Das hatte teils in Marja Michailownas Charakter, teils im vollkommenen Mangel irgendeines Anlasses für sie beide, sich anders zu benehmen, seinen Grund. Es fiel der Tante nicht ein, von Oljga irgend etwas zu verlangen, das ihren Neigungen direkt widersprochen hätte; und Oljga würde nicht im Traume daran gedacht haben, die Wünsche der Tante nicht zu erfüllen oder ihren Rat nicht zu befolgen. Und worin äußerten sich diese Wünsche? In der Wahl eines Kleides oder einer Frisur, oder zum Beispiel darin, ob man ins französische Theater oder in die Oper fahren sollte. Oljga gehorchte insofern, als die Tante ihre Wünsche oder Ratschläge äußerte, aber nicht mehr, und diese sprach sich bis zur Trockenheit gemäßigt aus und nur insofern, als alle Rechte der Tante es zuließen, aber nie mehr. Dieses Verhältnis war so farblos, daß man unmöglich entscheiden konnte, ob die Tante irgendwelche Ansprüche auf Oljgas Gehorsam, auf ihre besondere Zärtlichkeit machte, oder ob Oljga der Tante Gehorsam und irgendeine besondere Zärtlichkeit entgegenbrachte. Man konnte aber auf den ersten Blick sagen, wenn man sie zusammen sah, daß sie Tante und Nichte, aber nicht Mutter und Tochter waren.
    »Ich fahre ins Geschäft; brauchst du nicht etwas?« fragte die Tante.
    »Ja, ma tante, ich muß mein Lilakleid umtauschen«, sagte Oljga, und sie fuhren zusammen, oder sie sagte: »Nein, ma tante, ich war erst vor kurzem dort.«
    Die Tante faßte sie mit zwei Fingern an den Wangen, küßte sie auf die Stirn, die Nichte küßte der Tante die Hand, und die eine fuhr fort, während die andere zu Hause blieb.
    »Wir mieten wieder dieselbe Landwohnung«, sagte die Tante weder fragend noch bejahend, sondern als überlege sie es mit sich selbst und könne keinen Entschluß fassen.
    »Ja, es ist dort sehr schön«, sagte Oljga.
    Und die Landwohnung wurde gemietet.
    Oder Oljga sagte: »Ach, ma tante, langweilt Sie denn der Wald und der Sand noch nicht? Sollte man lieber nicht in einer anderen Gegend suchen?«
    »Wollen wir suchen«, sagte die Tante. »Oljenka, wollen wir nicht ins Theater fahren?« fragte die Tante. »Man spricht schon so lange von dem Stück.«
    »Mit Vergnügen«, antwortete Oljga; es war in ihrem Tone aber kein eiliger Wunsch, es recht zu machen, und kein Ausdruck von Unterwürfigkeit enthalten.
    Manchmal stritten sie auch ein wenig.
    »Aber ich bitte dich, ma chère, das grüne Band steht dir ja nicht«, sagte die Tante, »nimm doch das paillefarbige.«
    »Ach, ma tante! Ich habe es jetzt schon sechsmal getragen; man kriegt es doch endlich satt!«
    »Dann nimm das penseefarbige.«
    »Und gefällt Ihnen dieses nicht?«
    Die Tante sah hin und schüttelte langsam den Kopf.
    »Wie du willst, ma chère, ich hätte aber an deiner Stelle pensee- oder paillefarbige genommen.«
    »Nein, ma tante, ich nehme lieber dieses«, sagte Oljga sanft und tat, was sie wollte.
    Oljga fragte ihre Tante nicht wie eine Autoritätsperson um Rat, deren Worte für sie Gesetz sein mußten, sondern ebenso wie sie jede andere Frau, die mehr Erfahrung als sie selbst besaß, gefragt hätte.
    » Ma tante, haben Sie dieses Buch gelesen – was ist das?« fragte sie.
    »Ach, das ist Schund!« antwortete die Tante und schob das Buch beiseite, versteckte es aber nicht und tat nichts, damit Oljga es nicht lesen sollte.
    Und es wäre Oljga niemals eingefallen, es zu lesen. Wenn sie beide im Zweifel waren, wurde dieselbe Frage an den Baron von Langwangen oder an Stolz gerichtet, wenn er da war, und das Buch wurde gelesen oder nicht, je nachdem das gefällte Urteil lautete.
    » Ma chère Oljga!« sagte manchmal die Tante, »man hat mir über den jungen Mann, der dich bei Sawadskys oft anspricht, gestern etwas erzählt, eine dumme Geschichte.«
    Und das war alles. Und Oljga konnte dann tun, was sie wollte; mit ihm sprechen oder nicht.
    Oblomows Erscheinen im Hause hatte weder irgendwelche Fragen noch besondere Beachtung von seiten der Tante, des Barons und nicht einmal bei Stolz hervorgerufen. Letzterer wollte seinen Freund in ein Haus einführen, in dem alles ein wenig steif war, wo man nicht nur keine Aufforderung erhielt, nach dem Essen zu schlafen, sondern wo man nicht einmal die Beine übereinanderschlagen durfte, wo man elegant gekleidet sein und darüber, was man sagte, nachdenken mußte – wo man, mit einem Worte, weder hindämmern noch sich gehen lassen konnte und wo immer ein

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