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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Gontscharow
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hatte sie sofort bemerkt, daß Oblomow der französischen Sprache nicht ganz mächtig war, und ging gleich am nächsten Tage zum Russischen über. Im Gespräche gab sie sich keinen Träumereien hin und räsonnierte nicht; sie schien im Geiste einen genauen Strich gezogen zu haben, den ihr Verstand nie überschritt. Man sah aus allem, daß das Gefühl, jede Sympathie und auch die Liebe zugleich mit allen anderen Elementen in ihr Leben eingriffen oder eingegriffen hatten, während man bei anderen Frauen auf den ersten Blick sieht, daß die Liebe, wenn nicht tatsächlich, so doch in ihren Gesprächen, an allen Lebensfragen teilnimmt und daß alles andere nur nebenbei in Betracht gezogen wird, wenn die Liebe noch Raum übrigläßt. Bei dieser Frage ging die Kunst zu leben, sich zu beherrschen, den Gedanken, den Vorsatz und die Ausübung ins Gleichgewicht zu bringen, allem voran.
    Man konnte sie nie unvorbereitet antreffen, sie überrumpeln, sie war wie ein wachsamer Feind, dessen erwartungsvollen Blick man trotz jeden Auflauerns stets auf sich gerichtet fühlt. Ihr Element war die große Welt, und darum gingen bei ihr der Takt und die Vorsicht jedem Gedanken, jedem Worte und jeder Bewegung voran. Sie eröffnete nie jemand die verborgenen Regungen ihres Herzens, vertraute niemand irgendwelche Geheimnisse an, man traf sie niemals mit einer guten Freundin an, mit irgendeiner Alten, mit der sie bei einer Tasse Kaffee flüsterte. Sie blieb nur mit dem Baron von Langwangen oft unter vier Augen; abends saß sie manchmal bis Mitternacht mit ihm, aber fast immer in Oljgas Anwesenheit; und dabei schwiegen sie meistens, aber dieses Schweigen war so klug und bedeutsam, als wüßten sie etwas, was anderen unbekannt war, und das war alles. Sie liebten es wohl, beisammen zu sein, das war der einzige Schluß, den man ziehen konnte, wenn man ihnen zusah; sie behandelte ihn ebenso wie die anderen: wohlwollend gütig, aber ebenso gleichmäßig und ruhig. Böse Zungen nahmen die Gelegenheit wahr und deuteten auf eine sehr alte Freundschaft und eine gemeinsame Reise ins Ausland hin; doch in ihren Beziehungen zu ihm brach niemals auch nur der Schatten irgendeiner verborgenen Sympathie durch, und das hätte sich doch äußern müssen. Er war unter anderem Oljgas Vormund und verwaltete ihr kleines Gut, das bei irgendeinem Unternehmen verpfändet worden und nicht wieder frei zu bekommen war. Der Baron führte den Prozeß, das heißt, er beauftragte einen Beamten, die Papiere zu schreiben, die er durch sein Lorgnon las, unterschrieb und schickte dann denselben Beamten zu den Behörden und gab dem Prozesse durch seine Beziehungen in höheren Kreisen eine befriedigende Wendung. Er machte Hoffnungen, daß ein baldiges glückliches Ende bevorstehe. Dieser Umstand bereitete den boshaften Gerüchten ein Ende, und man gewöhnte sich daran, den Baron im Hause als einen Verwandten zu betrachten. Er war ein Fünfziger, hatte sich aber sehr gut konserviert, färbte sich nur den Schnurrbart und hinkte ein wenig auf einem Fuße. Er war äußerst höflich, rauchte nicht und verschränkte nicht die Füße in Damengesellschaft und tadelte strenge die jungen Leute, die so unerzogen waren, sich in Gesellschaft zurückzulehnen und die Knie und Stiefel ebenso hoch wie die Nase zu heben. Er saß auch im Zimmer in Handschuhen, die er nur beim Mittagessen auszog. Er war nach der letzten Mode gekleidet und trug im Knopfloch seines Fracks viele Orden. Er fuhr stets in einer Kutsche und schonte die Pferde sehr; bevor er in den Wagen stieg, sah er sich das Geschirr und sogar die Hufe der Pferde an, zog manchmal sein weißes Taschentuch hervor und rieb damit über die Schulter oder den Rücken der Pferde, um zu sehen, ob sie gut gereinigt waren. Er begrüßte die Bekannten mit einem wohlwollenden, höflichen Lächeln, die Unbekannten zuerst kühl; wenn man ihm aber jemand vorstellte, ging die Kälte in ein Lächeln über, und der Vorgestellte konnte schon immer darauf rechnen. Er sprach über alles: über die Tugend, die Teuerung, die Wissenschaften und die Gesellschaft gleich präzise; er äußerte seine Meinung in klaren, abgerundeten Sätzen, als spräche er schon in fertigen und in irgendeinen Kursus eingetragenen Sentenzen, die als ein allgemeiner Leitfaden herausgegeben werden konnten.
    Das Verhältnis zwischen Oljga und ihrer Tante war bis jetzt sehr einfach und ruhig gewesen; in der Zärtlichkeit überschritt es nie die Grenzen der Mäßigkeit, und zwischen ihnen

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