Oblomow
Ihrem Bruder?« fragte Oblomow.
»Nein, ich habe die beiden Kinder, die mein seliger Mann mir zurückgelassen hat, bei mir, einen achtjährigen Knaben und ein sechsjähriges Mädchen,« begann die Hausfrau ziemlich gesprächig, und ihr Gesicht wurde lebhafter, »und noch unsere kranke Großmutter; die kann sich kaum bewegen und geht nur in die Kirche; früher ist sie mit Akulina auf den Markt gegangen, aber seit Nikolo hat sie aufgehört; ihr schwellen die Füße an. Sie sitzt auch in der Kirche meistens nur auf den Stufen. Sonst wohnt niemand mehr hier. Manchmal kommt die Schwägerin auf Besuch oder Michej Andreitsch.«
»Und kommt Michej Andreitsch oft zu Ihnen?«
»Manchmal bleibt er einen Monat da; er ist mit meinem Bruder befreundet, und sie sind immer zusammen ...«
Sie schwieg, da sie den ganzen Vorrat ihrer Gedanken und Worte erschöpft hatte.
»Wie ruhig es hier bei Ihnen ist!« sagte Oblomow, »wenn der Hund nicht bellen würde, könnte man glauben, daß hier niemand wohnt.«
Sie lächelte zur Antwort.
»Gehen Sie oft aus?«
»Manchmal im Sommer. Neulich, am Eliastag, sind wir zu den Pulvermühlen gegangen.«
»Kommen dorthin viele Leute?« fragte Oblomow, durch den verschobenen Schal auf die einem Sofakissen ähnliche Brust, die nie in Erregung geriet, blickend.
»Nein, in diesem Jahre waren nicht so viele da; des Morgens hat's geregnet und dann hat sich's aufgeheitert. Sonst kommen viele hin.«
»Wohin gehen Sie sonst noch?«
»Wir gehen wenig aus. Mein Bruder geht mit Michej Andreitsch fischen, sie kochen sich dann eine Fischsuppe, wir sind aber meistens zu Hause.«
»Wirklich, immer zu Hause?«
»Bei Gott, das ist wahr. Voriges Jahr waren wir in Kolpind, und jetzt gehen wir manchmal in den Wald. Am 24. Juni ist der Namenstag vom Bruder, dann kommen zu uns alle Beamten aus der Kanzlei zum Essen.«
»Und machen Sie Besuche?«
»Der Bruder; aber ich gehe nur am Ostersonntag und zu Weihnachten zu den Verwandten meines Mannes zum Essen.«
Sie wußten nicht, worüber sie noch sprechen sollten.
»Sie haben hier Blumen, lieben Sie sie?« fragte er.
Sie lächelte.
»Nein,« sagte sie, »wir haben keine Zeit, uns mit Blumen abzugeben. Die Kinder sind mit Akulina in den gräflichen Garten gegangen, und der Gärtner hat sie ihnen gegeben, die Geranien und die Aloe sind hier schon lange, sie waren schon zu Lebzeiten meines Mannes da.«
Jetzt stürzte plötzlich Akulina ins Zimmer, in ihren Händen zappelte und gluckste verzweifelt ein großer Hahn.
»Soll ich diesen Hahn dem Krämer geben, Agafja Matwejewna?« fragte sie.
»Aber was tust du? Geh!« sagte die Hausfrau verlegen, »du siehst ja, daß ein Gast da ist!«
»Ich wollte nur fragen,« sagte Akulina, indem sie den Hahn bei den Füßen packte, so daß ihm der Kopf herabhing, »er gibt dafür siebzig Kopeken.«
»Geh in die Küche!« sagte Agafja Matwejewna. »Gib ihm den grauen mit den Tupfen, und nicht diesen! ...« fügte sie eilig hinzu, wurde dann verlegen, versteckte die Hände unter den Schal und begann nach unten zu schauen.
»Die Wirtschaft!« sagte Oblomow.
»Ja, wir haben viel Hühner; wir verkaufen die Eier und die Küchlein. In den Landhäusern und im gräflichen Hause hier auf der Straße kauft man alles bei uns,« antwortete sie, Oblomow viel dreister anblickend.
Und ihr Gesicht nahm einen besorgten, gedankenvollen Ausdruck an; selbst ihre Stumpfheit verschwand, als sie über den ihr vertrauten Gegenstand zu sprechen begann. Jede Frage, die nicht irgend etwas Positives, ihr Bekanntes berührte, beantwortete sie nur mit einem Lächeln oder einem Schweigen.
»Man müßte das ordnen,« bemerkte Oblomow, auf den Haufen seiner Sachen hinweisend.
»Wir wollten es schon machen, aber der Bruder hat es nicht erlaubt,« unterbrach sie Oblomow lebhaft und blickte ihn schon ganz dreist an: »Gott weiß, was hier in den Tischen und Schränken liegt ...« hat er gesagt, »wenn etwas verlorengeht, werden wir es zu verantworten haben ...«
Sie machte eine Pause und lächelte.
»Wie vorsichtig Ihr Bruder ist!« fügte Oblomow hinzu. Sie lächelte ein wenig und nahm wieder ihren gewöhnlichen Gesichtsausdruck an. Das Lächeln war für sie mehr ein Mittel, ihre Unkenntnis dessen, was sie in dem einen oder andern Falle zu tun oder zu sagen hatte, zu verbergen.
»Ich kann nicht so lange warten, bis er kommt,« sagte Oblomow. »Vielleicht bestellen Sie ihm, daß ich verschiedener Umstände wegen die Wohnung nicht benötige und bitte
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