Oblomow
Verfassung befindet, um mit den Augen des Gelehrten zu beobachten, wie die Empfindung sich in seine Seele schleicht, wie sie die Sinne wie mit Schlaf umfängt, wie zuerst die Augen erblinden, von welchem Momente an der Puls und dann das Herz heftiger zu schlagen beginnen, wie vom gestrigen Tage an plötzlich eine Ergebenheit bis in den Tod und ein Bestreben sich hinzuopfern entsteht, wie das eigene Ich allmählich verschwindet und in ihn oder in sie übergeht, wie ungewöhnlich der Geist sich abstumpft oder wie ungewöhnlich er sich verfeinert, wie der Wille sich dem Willen eines anderen ergibt, wie der Kopf sich senkt und die Knie zittern, wie Tränen und Fieber kommen ...
Agafja Matwejewna hatte früher solche Menschen wie Oblomow selten gesehen, und wenn sie sie auch gesehen hatte, so geschah es doch nur aus der Ferne; sie gefielen ihr vielleicht auch, doch sie lebten in einer anderen Sphäre, die nicht die ihrige war, und sie fand keine Gelegenheit, in ihre Nähe zu kommen. Ilja Iljitsch hatte einen anderen Gang, als ihn ihr verstorbener Mann, der Kollegiensekretär Pschenizin, gehabt hatte, der stets mit kleinen geschäftigen Schritten einhertrottete, er schrieb nicht unaufhörlich Papiere, zitterte nicht vor Furcht, zu spät ins Amt zu kommen, sah einen jeden nicht so an, als bitte er, ihn zu satteln und auf ihm zu reiten, sondern hatte allen gegenüber einen so mutigen, freien Blick, als forderte er, man möchte sich ihm unterwerfen. Sein Gesicht war nicht grob und rötlich, sondern weiß und zart, die Hände erinnerten nicht an diejenigen des Bruders, sie zitterten nicht und waren nicht rot, sondern weiß und klein. Wenn er sich hinsetzt, die Beine übereinanderschlägt und den Kopf mit der Hand stützt, geschieht das alles so frei, so ruhig und schön; er spricht so, wie weder ihr Bruder noch Tarantjew sprechen, und wie auch ihr Mann nicht gesprochen hat; sie versteht sogar vieles davon nicht, er spricht gar nicht so wie die anderen. Er trägt feine Wäsche, wechselt sie jeden Tag, wäscht sich mit duftender Seife, putzt sich die Nägel – seine ganze Person ist so rein und anziehend, er kann sich erlauben, nichts zu tun, und tut auch nichts, er überläßt es anderen, für ihn zu arbeiten; er hat Sachar und noch dreihundert Sachars ... Er ist ein Edelmann, er strahlt und leuchtet! Außerdem ist er so gut! Er hat so weiche Bewegungen, und wenn er die Hand berührt, ist es wie Samt, wenn es aber ihr Mann tat, war es, als schlage er sie. Er blickt und spricht auch so weich, so gütig ... Sie dachte nicht so und war sich dessen nicht bewußt, wenn aber jemand anders den Einfall hätte, den Eindruck, den Oblomows Erscheinen in ihrer Seele hervorrief, aufzufangen und zu erklären, würde er das so und nicht anders beginnen müssen.
Oblomow begriff, welche Bedeutung er für diesen Winkel und dessen Bewohner, vom Bruder bis zum Kettenhund, erlangt hatte, der seit seinem Umzug dreimal soviel Knochen bekam, doch er ahnte nicht, welche tiefe Wurzeln er im Herzen der Hausfrau gefaßt und welchen unerwarteten Sieg er davongetragen hatte. In ihrer Geschäftigkeit und Besorgtheit um sein Essen, seine Wäsche und Zimmer sah er nur die Äußerung des Hauptzuges ihres Charakters, den er schon während seines ersten Besuches bemerkt hatte, als Akulina plötzlich den zappelnden Hahn ins Zimmer brachte, und als die Hausfrau, trotzdem sie durch den unpassenden Eifer der Köchin in Verlegenheit geraten war, ihr doch sagte, sie möchte dem Krämer nicht diesen, sondern den grauen Hahn verkaufen. Agafja Matwejewna lag es nicht nur ferne, mit Oblomow zu kokettieren und ihm durch irgendeine Äußerung das, was in ihr vorging, anzudeuten, sondern sie war sich dessen, wie schon gesagt, gar nicht bewußt, begriff es nicht und hatte sogar vergessen, daß vor einiger Zeit das alles in ihr noch nicht existiert hatte; ihre Liebe äußerte sich nur in einer grenzenlosen Ergebenheit bis ans Grab. Oblomow hatte die Art ihrer Beziehungen ihm gegenüber nicht erkannt und hielt deren Äußerungen wie bisher für ihre Charaktereigenschaften. Und das so normale, natürliche und selbstlose Gefühl der Pschenizin Oblomow gegenüber blieb für diesen, für ihre Umgebung und für sie selbst ein Geheimnis. Dieses Gefühl war tatsächlich selbstlos, denn sie stellte nur deswegen eine Kerze in die Küche hin und ließ eine Messe für Oblomow beten, damit er genas, ohne daß er jemals etwas davon erfuhr. Sie saß in der Nacht an seinem Kopfende und ging
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