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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Gontscharow
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erst beim Morgengrauen hinaus, und es wurde nie davon gesprochen. Sein Verhalten ihr gegenüber war viel einfacher: für ihn verkörperte sich in Agafja Matwejewna, in ihren sich stets bewegenden Ellbogen, in den besorgt auf allem ruhenden Augen, in ihrem Überblicken der Schränke, der Küche, der Vorratskammer und des Kellers, in der Allwissenheit, die sie in allen häuslichen und wirtschaftlichen Fragen bekundete, das Ideal jener wie ein Ozean unabsehbaren und unveränderlichen Ruhe, deren Bild sich in der Kindheit, unter dem väterlichen Dache, unaustilgbar in seine Seele gegraben hatte. Ebenso wie dort der Vater, der Großvater, die Kinder, die Enkel und Gäste in träger Ruhe dalagen und saßen, da sie wußten, daß es neben ihnen im Hause ein ewig sorgendes, nie schlummerndes Auge und unermüdliche Hände gab, welche für sie nähten, sie kleideten, fütterten, sie zu Bette brachten und ihnen beim Sterben die Augen zudrückten, sah auch Oblomow, wenn er hier, ohne sich zu rühren, auf dem Sofa saß, daß es etwas sich für ihn Regendes und Sorgendes gab, und daß es eher zu erwarten war, die Sonne würde morgen nicht mehr aufgehen, der Himmel würde von Wirbelwinden zerrissen sein, die aus einem Ende des Weltalls zum anderen herüberwehten, als daß die Suppe und der Braten nicht auf seinem Tische erscheinen, daß seine Wäsche nicht rein und frisch ist, und das Spinngewebe nicht von der Wand entfernt ist, ohne daß er weiß, wie das gemacht wird; bevor er sich die Mühe gibt zu denken, was er wohl haben möchte, wird es schon erraten und ihm gebracht werden, aber nicht träge und grob von Sachars schmutzigen Händen, sondern mit einem fröhlichen, sanften Blick, mit einem tief ergebenen Lächeln, von reinen, weißen Händen mit nackten Ellbogen.
    Er wurde mit der Hausfrau täglich mehr befreundet; er dachte nicht im entferntesten an Liebe, das heißt an jene Liebe, die er vor kurzem wie Blattern, Masern oder ein Fieber ertragen hatte und bei deren Erinnerung er bebte. Er näherte sich Agafja Matwejewna, als rücke er an ein Feuer, das einen immer mehr und mehr erwärmt, das man aber nicht lieben kann. Er blieb nach dem Essen gerne in ihrem Zimmer, rauchte dort gerne seine Pfeife und sah zu, wie sie das Silber und das Geschirr in die Kredenz einräumte, wie sie die Schalen herausnahm, den Kaffee einschenkte und wie sie die eine Schale ganz besonders sorgfältig abwusch und abtrocknete, zuerst füllte, ihm hinreichte und zuschaute, ob er zufrieden sei. Er ließ seine Augen gerne auf ihrem vollen Hals und den runden Ellbogen ruhen, wenn sich die Tür in ihr Zimmer öffnete, und wenn dies lange nicht geschah, stieß er den Türflügel leise mit dem Fuße auf, scherzte mit ihr und spielte mit den Kindern. Aber er langweilte sich nicht, wenn der Morgen verging, ohne daß er sie sah; nachmittags ging er oft, anstatt bei ihr zu bleiben, auf zwei Stunden schlafen; doch er wußte, daß, sowie er erwachte, sogar in demselben Augenblick, sein Tee bereitet war. Und vor allem geschah das alles in Ruhe; er spürte keinen Dank am Herzen, regte sich niemals darüber auf, ob er die Hausfrau sehen würde oder nicht, darüber, was sie denken würde, was er ihr sagen, wie er ihre Fragen beantworten sollte, wie sie ihn anblicken würde – über gar nichts. Er erlebte weder Momente der Traurigkeit noch schlaflose Nächte noch süße und bittere Tränen. Er saß da, rauchte und sah zu, wie sie nähte, manchmal sagte er irgend etwas oder auch nicht, und dabei war er ruhig, er hatte keine Wünsche und wollte nirgendshin, als besäße er alles, was er wünschte. Agafja Matwejewna machte keine Versuche, ihn aufzurütteln, und stellte an ihn keinerlei Ansprüche. Und in ihm stiegen keine ehrgeizigen Wünsche und Bestrebungen auf, kein Drang nach Heldentaten, kein qualvolles Selbstfoltern, weil die Zeit verging, weil seine Kräfte schwanden, weil er nichts, weder Gutes noch Böses, getan hatte, weil er müßig war, nicht lebte, sondern vegetierte. Es war, als hätte eine unsichtbare Hand ihn wie eine wertvolle Pflanze in den Schatten gepflanzt, wo er vor Glut und Regen geschützt war, als hegte und pflegte sie ihn.
    »Wie geschwind Sie die Nadel an der Nase vorüberziehen, Agafja Matwejewna!« sagte Oblomow, »das geht so schnell, daß ich wirklich fürchte, Sie könnten sich den Rock an die Nase festnähen.«
    Sie lächelte.
    »Ich nähe nur diese Naht zu Ende«, sagte sie zu sich selbst, »dann werden wir Abendbrot essen.«
    »Was

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