Oblomow
ich habe die Bücher, die du mir zurückgelassen hast, fast alle gelesen ...«
»Warum bist du denn nicht ins Ausland gekommen?« fragte Stolz.
»An der Reise ins Ausland hat mich jemand verhindert ...« Er schwieg.
»Oljga?« sagte Stolz, ihn bedeutungsvoll anblickend.
Oblomow wurde blutrot.
»Wie, ist es möglich, daß du das gehört hast ... Wo ist sie jetzt?« fragte er rasch, indem er Stolz anblickte.
Stolz fuhr fort, ihm, ohne zu antworten, in die Augen zu schauen und drang tief in seine Seele ein.
»Ich habe gehört, sie sei mit der Tante ins Ausland gereist«, sagte Oblomow, »gleich nachdem ...«
»Nachdem sie ihren Irrtum eingesehen hat!« schloß Stolz.
»Weißt du denn das? ...« fragte Oblomow und wußte nicht, wo er vor Verlegenheit hin sollte.
»Alles«, sagte Stolz, »sogar von dem Fliederzweig. Und es tut dir nicht weh, du schämst dich nicht, Ilja? Nagt an dir keine Reue, kein Bedauern? ...«
»Sprich nicht, erwähne das nicht!« unterbrach ihn Oblomow. »Ich bin erkrankt, als ich sah, welch ein Abgrund zwischen mir und ihr liegt, als ich mich davon überzeugte, daß ich ihrer nicht wert bin ... Ach, Andrej! Wenn du mich liebst, dann quäle mich nicht und erinnere mich nicht an sie. Ich habe sie längst auf ihren Irrtum hingewiesen, sie wollte mir nicht glauben ... meine Schuld ist wirklich nicht sehr groß ...«
»Ich beschuldige dich ja nicht, Ilja!« fuhr Stolz freundschaftlich und weich fort. »Ich habe deinen Brief gelesen. Die meiste Schuld trage ich, dann sie und ganz zuletzt du, aber in sehr geringem Maße.«
»Was ist mit ihr jetzt?« fragte Oblomow traurig.
»Was? Sie trauert, weint unaufhörlich und flucht dir ...« Bei jedem Worte erschien auf Oblomows Gesicht Angst, Mitleid, Entsetzen und Reue.
»Was sagst du, Andrej?« rief er aus, indem er sich erhob. »Fahren wir um Gottes willen gleich zu ihr, sofort! Ich werde ihr zu Füßen fallen und mir ihre Verzeihung erflehen ...«
»Bleibe ruhig sitzen!« unterbrach ihn Stolz lachend. »Sie ist guter Laune, sogar glücklich, hat dich grüßen lassen und wollte dir schreiben; ich habe ihr aber davon abgeraten und habe gesagt, daß dich das aufregen würde.«
»Gott sei Dank!« rief Oblomow fast mit Tränen aus. »Wie froh bin ich, Andrej, laß dich küssen, und wollen wir auf ihre Gesundheit trinken!«
Sie leerten ein Glas Champagner.
»Wo ist sie denn jetzt?«
»Jetzt ist sie in der Schweiz. Zum Herbst fährt sie mit der Tante auf ihr Gut. Ich bin deswegen jetzt hier. Man muß sich noch für ihre Angelegenheiten verwenden. Der Baron hat den Prozeß nicht zu Ende geführt; es ist ihm eingefallen, um Oljgas Hand anzuhalten ...«
»Ist's möglich? Das ist also doch wahr?« fragte Oblomow.
»Nun, und was hat sie darauf erwidert?«
»Sie hat ihn natürlich abgewiesen; er war gekränkt und ist abgereist, so daß ich jetzt die Sache zu Ende führen muß! Nächste Woche wird alles erledigt sein. Nun, wie geht es dir? Warum hast du dich in diese abgelegene Straße verkrochen?«
»Hier ist es ruhig und still, Andrej; niemand stört ...«
»Wobei?«
»Bei der Arbeit ...«
»Ich bitte dich, hier ist es ganz wie in Oblomowka, nur noch widerwärtiger!« sagte Stolz, um sich schauend. »Wollen wir aufs Gut fahren, Ilja?«
»Aufs Gut ... vielleicht, dort beginnt man auch bald zu bauen; aber nicht so plötzlich, Andrej, laß es uns überlegen ...«
»Wieder überlegen! Ich kenne dieses Überlegen; es wird so sein, wie mit deiner Reise ins Ausland vor zwei Jahren. Fahren wir nächste Woche hin.«
»Wieso nächste Woche?« wehrte sich Oblomow. »Du bist frei, ich aber muß Vorbereitungen treffen ... ich habe meine ganze Wirtschaft hier; wie, soll ich das alles liegen und stehen lassen? Ich habe ja nichts.«
»Du brauchst ja auch nichts. Was brauchst du denn?«
Oblomow schwieg.
»Es steht schlecht mit meiner Gesundheit, Andrej«, sagte er, »die Atemnot quält mich so. Dann kehren auch die Gerstenkörner immer wieder, bald auf dem einen und bald auf dem anderen Auge, und die Füße schwellen mir an. Wenn ich manchmal in der Nacht sehr fest schlafe, ist's plötzlich, als schlage mich jemand auf den Kopf oder den Rücken, so daß ich aufspringen muß ...«
»Höre, Ilja, ich werde dir ganz ernsthaft sagen, daß du die Lebensweise verändern mußt, sonst bekommst du die Wassersucht oder den Schlagfluß. Mit den Hoffnungen auf die Zukunft ist es jetzt zu Ende. Wenn Oljga, dieser Engel, dich auf ihren Flügeln nicht aus deinem Sumpfe
Weitere Kostenlose Bücher