Oblomow
glücklich schätzen würden ... Sie quälte sich und grübelte, wie sie sich von diesen Dilemmas des Lebens befreien könnte, und sah weder ein Ziel noch ein Ende. Vor ihr war nur die Furcht vor seiner Enttäuschung, vor der ewigen Trennung. Manchmal dachte sie daran, ihm alles zu entdecken, um ihren und seinen Kampf auf einen Schlag zu beenden, aber sie hatte nicht den Mut, sowie sie daran dachte. Sie schämte sich, und es war ihr weh ums Herz. Am seltsamsten war der Umstand, daß sie ihre Vergangenheit zu achten aufhörte und sich ihrer zu schämen begann, seit sie mit Stolz unzertrennlich war und seit er sich ihres Lebens bemächtigt hatte. Wenn zum Beispiel der Baron oder jemand anderes es erfahren hätte, wäre sie gewiß verlegen geworden und hätte sich unbehaglich gefühlt, doch sie hätte sich nicht so gequält, wie sie sich jetzt beim Gedanken daran, daß Stolz es erfahren könnte, quälte.
Sie dachte mit Entsetzen daran, was sein Gesicht ausdrücken würde, wie er sie anblicken, was er sagen und was er dann denken würde? – Sie würde ihm plötzlich so nichtig, schwach und klein erscheinen. Nein, nein, um nichts in der Welt! Sie begann sich zu beobachten und entdeckte zu ihrem Entsetzen, daß sie sich nicht nur ihres vergangenen Romans, sondern auch dessen Helden schämte ... Dabei quälte sie auch die Reue, weil sie für die tiefe Ergebenheit ihres früheren Freundes undankbar war. Vielleicht hätte sie sich auch an ihre Scham gewöhnt; woran gewöhnt sich denn der Mensch nicht! Wenn ihre Freundschaft für Stolz aller eigennütziger Gedanken und Wünsche bar gewesen wäre. Doch wenn es ihr sogar gelang, jedes verführerische, schmeichelnde Flüstern des Herzens zu betäuben, war sie den Träumen ihrer Phantasie gegenüber machtlos. Oft erschien vor ihren Augen, gegen ihren Wunsch, und leuchtete das Bild jener anderen Liebe, der Traum von einem reichen Glück, nicht mit Oblomow, nicht in trägem Hindämmern, sondern auf dem geräumigen Schauplatz eines vielseitigen Lebens, mit all seiner Tiefe, mit allen Reizen und mit allem Leid.
Der Traum vom Glück mit Stolz wuchs immer mehr in ihr! ... Da begann sie ihre Vergangenheit mit Tränen zu netzen, konnte sie aber nicht reinwaschen. Sie suchte ihren Traum zu verscheuchen und versteckte sich noch mehr hinter der Mauer von Undurchdringlichkeit, von Schweigen und von jener freundschaftlichen Gleichgültigkeit, die Stolz quälte. Dann vergaß sie sich und ließ sich ganz selbstlos durch die Anwesenheit des Freundes hinreißen, war bezaubernd, liebenswürdig und zutraulich, bis der unrechtmäßige Traum von Glück, auf das sie alle Rechte verloren hatte, sie daran erinnerte, daß die Zukunft für sie verloren war, daß die rosigen Träume schon hinter ihr lagen, daß die Blüte ihres Lebens abgefallen war.
Mit den Jahren hätte sie es gewiß dazu gebracht, sich mit ihrer Lage zu versöhnen, sie hätte den Hoffnungen auf die Zukunft entsagt, wie es alle alten Jungfrauen tun, und würde sich in eine kalte Apathie versenken oder sich mit Wohltätigkeit befassen; aber ihr unberechtigter Traum nahm eine drohendere Gestalt an, als sie aus einigen Worten, die Stolz entschlüpft waren, deutlich sah, daß sie in ihm einen Freund verlor und einen feurigen Anbeter gewann. Die Freundschaft war in der Liebe untergegangen. Sie war an jenem Morgen, als sie es entdeckt hatte, bleich, ging den ganzen Tag nicht aus, war aufgeregt, kämpfte gegen das Glück und Entsetzen an, dachte darüber nach, was sie jetzt tun sollte und welche Pflicht ihr oblag – und ihr fiel nichts ein. Sie fluchte sich nur, weil sie ihre Scham nicht früher bekämpft und Stolz ihre Vergangenheit nicht früher entdeckt hatte; jetzt mußte sie außerdem noch ihr Entsetzen bekämpfen. Sie hatte auch Anfälle von Entschlossenheit, wenn in ihrer Brust alles schmerzte und darin Tränen aufstiegen, wenn sie zu ihm hinstürzen und ihm nicht mit Worten, sondern mit Tränen, Schluchzen und Ohnmachtsanfällen von ihrer Liebe erzählen wollte, damit er auch die Buße sah. Doch sie besaß die Kraft nicht. Wo sollte sie sie hernehmen? Oder sollte sie in diesem Falle wie die anderen handeln? Sonitschka zum Beispiel sagte ihrem Bräutigam, sie hätte den Fähnrich zum besten gehalten, er wäre ein grüner Junge, sie hätte ihn absichtlich im Froste warten lassen, bis sie in den Wagen stieg usw.
Sonitschka würde nicht gezögert haben, auch von Oblomow zu erzählen, das sei nur ein Scherz gewesen, um sie zu
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