Oblomow
sich berauschen könnte und das ganze Leben lang wüßte, wo diese Quelle des Glücks entsprungen war ... Liebt sie oder nicht? fragte er sich in qualvoller Aufregung, fast Blut schwitzend und weinend. Diese Frage brannte immer intensiver, umfing ihn wie eine Flamme und fesselte seine Vorsätze; das war die Hauptfrage nicht nur seiner Liebe, sondern auch seines Lebens. Er hatte jetzt für nichts anderes mehr Raum in seiner Seele. Er schien in diesem halben Jahre all die Qualen und Foltern der Liebe, denen er bei seinen Begegnungen mit Frauen so geschickt ausgewichen war, auf einmal zu erdulden. Er fühlte, auch sein gesunder Organismus würde nicht standhalten, wenn diese Spannung des Geistes, des Willens und der Nerven noch länger anhalten würde. Er hatte begriffen, was ihm bis dahin fremd war, wie die Kräfte in diesem dem Auge verborgenen Kampf der Seele mit der Leidenschaft erschöpft werden, wie das Herz von unheilbaren Wunden ohne Blut bedeckt wird, die aber Schmerz und Stöhnen verursachen, und wie das Leben davoneilt. Er hatte den selbstbewußten Glauben an seine Kraft ein wenig eingebüßt; er scherzte nicht mehr leichtsinnig, wenn man ihm erzählte, wie manche den Verstand verlieren und aus verschiedenen Gründen, unter anderem ... aus Liebe, dahinwelken. Es wurde ihm angst. »Nein, ich werde dem ein Ende machen«, sagte er, »ich werde ihr wie früher in die Seele blicken und werde morgen entweder glücklich sein oder verreisen! Meine Kraft ist zu Ende!« sprach er weiter, sich im Spiegel betrachtend. »Wie schaue ich denn aus ... Genug! ...« Er steuerte geradeaus auf sein Ziel los, das heißt, er ging zu Oljga.
Und was war mit Oljga? Bemerkte sie seinen Zustand nicht, oder hatte sie für ihn gar kein Gefühl? Es war ganz ausgeschlossen, daß sie es nicht bemerkte; auch Frauen, die weniger fein sind, verstehen es, die freundschaftliche Ergebenheit und Liebenswürdigkeit von der zarten Äußerung eines anderen Gefühles zu unterscheiden, wenn man ihre wahre, ungeheuchelte, ihr durch niemand beigebrachte innere Sittlichkeit begriffen hatte. Sie stand über dieser gemeinen Schwäche. Man konnte nur das eine voraussetzen, daß ihr diese immerwährende, von Geist und Leidenschaft erfüllte Anbetung eines solchen Menschen wie Stolz ohne irgendwelche praktische Pläne gefiel. Diese Anbetung richtete ihre verletzte Eitelkeit wieder auf und stellte sie nach und nach wieder auf das Piedestal, von dem sie herabgestiegen war; ihr Selbstbewußtsein stand wieder auf. Wie stellte sie sich die Sache aber vor, wie sollte diese Anbetung enden? Sie konnte sich doch nicht in diesem Kampf von Stolz' forschendem Verhalten ihrem beharrlichen Schweigen gegenüber äußern? Ahnte sie wenigstens, daß sein Kampf nicht vergeblich war, daß er die Sache, in die er so viel Wollen und Charakter hineingelegt hatte, nicht verlieren würde? Verschwendete er vergeblich dieses Feuer? Wird das Bild Oblomows und jener Liebe in den Strahlen dieses Feuers untergehen? ... Sie begriff das alles nicht, war sich dessen nicht klar bewußt und kämpfte verzweifelt mit diesen Fragen und mit sich selbst, und wußte nicht, wie sie sich von diesem Chaos befreien und was sie beginnen sollte. Es war unmöglich, in diesem ungewissen Zustand länger zu verharren; es würde einmal der Zeitpunkt kommen, wo dieses stumme Spiel und dieser Kampf der in der Brust eingeschlossenen Gefühle in Worte übergehen würde – was würde sie ihm dann über die Vergangenheit sagen und wie sie nennen, und wie würde sie das, was sie für Stolz fühlte, in Worte kleiden? Wenn sie Stolz liebte, was war dann die andere Liebe gewesen? – Koketterie, Leichtsinn ... oder etwas noch Ärgeres? Sie erglühte bei diesem Gedanken vor Scham. Sie würde eine solche Klage nicht gegen sich erheben. Wenn jenes Gefühl aber die reine erste Liebe gewesen war, was war dann ihr Verhalten Stolz gegenüber? – Wieder eine Intrige, Betrug, eine schlaue Spekulation, um ihn zum Heiraten zu bringen und dadurch den Leichtsinn ihres Betragens zu verbergen? ... Dieser Gedanke machte sie zusammenfahren und erbleichen. Wenn es aber keine Intrige, kein Betrug und keine Spekulation war – dann ... war es wieder Liebe? Das verwirrte sie; eine zweite Liebe sieben, acht Monate nach der ersten! Wer würde ihr das glauben? Wie durfte sie das nur erwähnen, ohne Staunen und vielleicht ... Verachtung hervorzurufen! Sie wagte es nicht und hatte kein Recht, daran zu denken! Sie kramte ihre Erfahrungen durch;
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