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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Gontscharow
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darunter litten, daß nur er oder sie mit seiner Hilfe in die Vergangenheit und die Gegenwart Ordnung und Klarheit bringen konnte. Aber dann müßte man den Abgrund überschreiten und ihm eröffnen, was sie erlebt hatte; wie wünschte und wie fürchtete sie sein Urteil!
    »Ich verstehe selbst nichts; ich befinde mich noch mehr als Sie im Chaos und Dunkel!« sagte sie.
    »Sagen Sie, glauben Sie mir?« fragte er, ihre Hand ergreifend.
    »Grenzenlos, wie einer Mutter – das wissen Sie«, antwortete sie leise.
    »Erzählen Sie mir doch, was mit Ihnen seit unserer Trennung vorgegangen ist. Sie sind jetzt für mich undurchdringlich, und früher habe ich Ihre Gedanken von Ihrem Gesicht abgelesen; ich glaube, daß es das einzige Mittel ist, damit wir einander verstehen. Sind Sie mit mir einverstanden?«
    »Ach ja, das ist unvermeidlich ... Man muß irgendwie ein Ende machen ...« sprach sie bange, das nahe Geständnis voraussehend. Nemesis! Nemesis! dachte sie, den Kopf auf die Brust herabsenkend.
    Sie blickte zu Boden und schwieg. Und ihm hatten diese einfachen Worte und noch mehr ihr Schweigen Entsetzen eingeflößt.
    Sie quält sich! O Gott! Was war mit ihr? dachte er mit kaltem Schweiß auf der Stirn und fühlte, daß ihm die Hände und Füße zitterten. Er stellte sich etwas sehr Furchtbares vor. Sie schwieg immer noch und kämpfte sichtlich mit sich.
    »Also ... Oljga Sjergejewna ...« trieb er sie zur Eile an.
    Sie schwieg und machte eine nervöse Bewegung, die man im Dunkel nicht unterscheiden konnte, man hörte nur ihr seidenes Kleid knistern.
    »Ich sammle Mut«, sagte sie endlich. »Wenn Sie wüßten, wie schwer das ist!« fügte sie dann hinzu, sich zur Seite abwendend und den Kampf zu Ende zu führen bemüht.
    Sie wünschte, Stolz möchte das Ganze nicht aus ihrem Mund, sondern durch ein Wunder erfahren. Zum Glück dunkelte es schon, und ihr Gesicht war schon im Schatten; nur die Stimme konnte sie verraten, und die Worte wollten ihr nicht von der Zunge, als wüßte sie nicht recht, in welchem Ton sie beginnen sollte. Mein Gott! Wie schuldig ich sein muß, wenn ich mich so schäme und es mir so weh ums Herz ist! peinigte sie sich innerlich.
    Und war es denn lange her, daß sie so selbstbewußt ihr eigenes und ein fremdes Schicksal gelenkt hatte und so klug und stark war? Und jetzt war an sie die Reihe gekommen, wie ein kleines Mädchen zu zittern! Scham über die Vergangenheit, die Qual der verletzten Eitelkeit in der Gegenwart und die ganze falsche Stellung peinigte sie ... Es war unerträglich!
    »Ich werde Ihnen helfen ... Sie ... haben geliebt ...« sagte Stolz mit Mühe, so weh taten ihm die eigenen Worte.
    Sie bestätigte seine Annahme durch ein Schweigen. Und ihn wehte Entsetzen an.
    »Wen denn? Ist das ein Geheimnis?« fragte er, bemüht, mit fester Stimme zu sprechen, fühlte aber, daß ihm die Lippen zitterten.
    Und sie quälte sich noch mehr! Sie wollte einen anderen Namen nennen und eine andere Geschichte erzählen. Sie schwankte einen Augenblick lang, es war aber nichts zu machen; sie sagte plötzlich, wie ein Mensch, der sich im Augenblick der höchsten Gefahr vom steilen Ufer oder in die Flammen stürzt: »Oblomow.«
    Er erstarrte. Ein paar Minuten lang hielt das Schweigen an.
    »Oblomow!« wiederholte er erstaunt, »das ist nicht wahr!« fügte er dann überzeugt mit gesenkter Stimme hinzu.
    »Es ist wahr!« sagte sie ruhig.
    »Oblomow!« wiederholte er nochmals. »Das ist unmöglich!« sagte er dann. »Da stimmt etwas nicht: Sie haben sich, Oblomow oder endlich die Liebe selbst nicht begriffen.«
    Sie schwieg.
    »Das ist keine Liebe, das ist etwas anderes, sage ich!« wiederholte er beharrlich.
    »Ja, ich habe mit ihm kokettiert, habe ihn an der Nase herumgeführt und unglücklich gemacht ... und jetzt nehme ich, Ihrer Meinung nach, Sie in Angriff?« sagte sie mit zurückgehaltener Stimme, in der wieder Tränen der Kränkung erklangen.
    »Liebe Oljga Sjergejewna! Seien Sie nicht böse und sprechen Sie nicht so; das ist nicht Ihre Art. Sie wissen, daß ich das alles nicht denke. Aber ich kann es mir nicht vorstellen, ich begreife nicht, wie Oblomow ...«
    »Er ist doch aber Ihrer Freundschaft würdig; Sie wissen nicht, wie hoch Sie ihn schätzen sollen. Warum ist er denn der Liebe nicht wert?« verteidigte sie ihn.
    »Ich weiß, daß die Liebe weniger anspruchsvoll ist als die Freundschaft«, sagte er, »sie ist manchmal sogar blind, und man liebt nicht der Verdienste wegen – das stimmt alles.

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