Oblomow
zerstreuen, er sei ja so komisch, könnte man denn einen solchen »Mehlsack« lieben, das würde ja niemand für möglich halten! Doch ein solches Betragen könnte nur von Sonitschkas Mann und von vielen anderen gerechtfertigt werden, aber nicht von Stolz. Oljga hätte die Sache auch noch plausibler darstellen und sagen können, sie hätte Oblomow nur aus dem Abgrund herausziehen wollen und hätte dabei eine sozusagen freundschaftliche Koketterie angewandt, um einen versumpfenden Menschen zu beleben und dann von ihm fortzugehen. Doch das wäre zu sehr gesucht, bei den Haaren herangezogen und jedenfalls falsch gewesen. Nein, es gab keine Rettung! O Gott, in welchen Sumpf bin ich hineingeraten! peinigte sie sich. Es ihm entdecken ...! Ach nein! Er soll es lange Zeit nicht, am liebsten niemals erfahren! Wenn ich es ihm aber nicht entdecke, ist es wie Diebstahl. Das sieht dann wie Betrug, wie Beschönigung aus. O Gott, hilf mir! ...
Sie fand aber keine Hilfe. So sehr sie Stolz' Anwesenheit auch genoß, wünschte sie doch manchmal, ihm nicht mehr zu begegnen, als ein kaum merklicher Schatten durch sein Leben zu huschen und sein klares, vernünftiges Dasein nicht durch eine sinnlose Leidenschaft zu verdüstern. Sie hätte vielleicht eine Zeitlang über ihre unglückliche Liebe getrauert, hätte die Vergangenheit beweint und die Erinnerung daran in ihrem Herzen begraben und dann ... dann würde sie vielleicht eine »gute Partie« finden, wie es viele gibt, und sie wäre eine gute, verständige, pflichttreue Frau und Mutter geworden, die Vergangenheit würde ihr jetzt als eine Phantasterei ihrer Mädchenjahre erscheinen, und sie würde nicht leben, sondern das Leben erdulden. Alle machen es ja so! Aber hier handelte es sich nicht um sie allein, hier war noch ein anderer mit im Spiel, und dieser andere richtete seine schönsten Hoffnungen, die das Endziel seines Lebens sein sollten, auf sie. Warum ... habe ich geliebt? quälte sie sich in ihrer Verzweiflung und dachte an den Morgen im Park, als Oblomow fliehen wollte, und sie dachte, das Buch ihres Lebens würde sich für immer verschließen, wenn er es tat. Sie hatte die Fragen der Liebe und des Lebens so kühn und leicht gelöst, alles erschien ihr so klar, und nun hatte sich alles zu einem unentwirrbaren Knoten verwickelt! Sie hatte sich für weise gehalten und hatte geglaubt, man müßte alles nur einfach anschauen und geradeaus schreiten, und das Leben würde sich gehorsam wie ein Tuch vor ihren Füßen ausbreiten, und jetzt! Sie konnte die Schuld auch niemand anderem zuschieben; nur sie allein war schuldig.
Oljga ahnte nicht, weshalb Stolz gekommen war, erhob sich sorglos vom Sofa, legte das Buch fort und ging auf ihn zu.
»Störe ich Sie nicht?« fragte er, sich in ihrem Zimmer, das nach dem See hinausging, ans Fenster setzend. »Haben Sie gelesen?«
»Nein, ich habe schon zu lesen aufgehört. Es wird dunkel. Ich habe auf Sie gewartet!« sagte sie weich, freundschaftlich und zutraulich.
»Um so besser; ich muß mit Ihnen sprechen!« bemerkte er ernst, ihr einen Sessel ans Fenster schiebend.
Sie fuhr zusammen und blieb erstarrt stehen. Dann ließ sie sich mechanisch auf den Sessel nieder und saß mit gesenktem Kopfe und ohne die Augen zu erheben, in einem schrecklichen Zustand da. Sie wünschte sich jetzt hundert Werst von diesem Orte fort. In diesem Augenblick glitt die Vergangenheit wie ein Blitz durch ihr Gedächtnis. »Das Gericht beginnt! Man darf mit dem Leben nicht wie mit Puppen spielen!« hörte sie eine Stimme. »Scherze damit nicht, sonst mußt du es büßen!« Sie schwiegen einige Minuten lang. Er sammelte merklich seine Gedanken. Oljga betrachtete ängstlich sein abgemagertes Gesicht, die gefurchten Brauen, die mit dem Ausdruck von Entschlossenheit aufeinandergepreßten Lippen. Nemesis! dachte sie, innerlich erbebend. Beide bereiteten sich wie zu einem Zweikampf vor.
»Oljga Sjergejewna. Sie erraten gewiß, wovon ich sprechen will!« sagte er und blickte sie fragend an.
Er saß an einer Zwischenwand, die sein Gesicht verdeckte, während das Licht voll auf sie fiel, so daß er von ihren Zügen ablesen konnte, was in ihr vorging.
»Wie kann ich es wissen? ...« antwortete sie leise.
Diesem gefährlichen Gegner gegenüber äußerte sie weder jene Willenskraft noch jenen Charakter, weder den Scharfsinn noch die Selbstbeherrschung, mit denen gewaffnet sie immer vor Oblomow erschienen war. Sie begriff, daß, wenn sie sich bis dahin vor Stolz'
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