Oblomow
der Allee zum drittenmal erreicht hatten, ließ sie ihn nicht sich umwenden, sondern führte ihn jetzt, wie er es zuvor mit ihr getan hatte, ins Mondlicht und blickte ihm fragend in die Augen.
»Was hast du?« fragte sie schüchtern, »du lachst über meine Dummheiten, nicht wahr? Diese Traurigkeit ist sehr dumm, nicht wahr?«
Er schwieg.
»Warum schweigst du denn?«
»Du hast lange geschwiegen, trotzdem du sicher gewußt hast, daß ich dich längst beobachtet habe; laß also auch mich schweigen und nachdenken. Du hast mir keine leichte Aufgabe gestellt ...«
»Jetzt wirst du nachdenken, und ich werde mich damit abquälen, was für Gedanken dir wohl kommen. Ich hätte es dir nicht sagen sollen«, fügte sie hinzu, »sage lieber etwas ...«
»Was soll ich dir denn sagen?« fragte er sinnend. »Vielleicht äußert sich in dir auch eine nervöse Störung, dann kann ich dir nicht sagen, was mit dir ist, das muß der Arzt entscheiden. Ich werde ihn morgen holen lassen ... Wenn es aber etwas anderes ist ...« begann er und dachte nach.
»Was dann, sprich!«
Er ging noch immer in Gedanken versunken.
»Aber so sprich doch!« sagte sie, ihm die Hand schüttelnd.
»Vielleicht ist es ein Überschuß an Phantasie – du bist zu lebhaft ... oder du bist vielleicht bis zu einem Stadium herangereift ...« sagte er halblaut, wie zu sich selbst.
»Sprich, bitte, laut, Andrej! Ich kann es nicht ausstehen, wenn du vor dich hinbrummst«, klagte sie; ich habe ihm Dummheiten vorerzählt, und er läßt gleich den Kopf hängen und brummt vor sich etwas in den Bart! »Ich fürchte mich sogar mit dir, hier im Dunkel ...«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll ... Du wirst traurig, dich quälen allerlei Fragen, wie kann man daraus klug werden? Wir werden noch darüber sprechen und uns die Sache überlegen; ich glaube, du mußt wieder im Meer baden ...«
»Du hast zu dir selbst gesagt: ›Wenn ... vielleicht ... gereift‹. Was für einen Gedanken hast du gehabt?« fragte sie.
»Ich dachte ...« begann er langsam und sinnend seine Gedanken zu äußern, ohne ihnen noch recht zu trauen und sich ihrer gleichsam schämend, »siehst du, es gibt Augenblicke ... das heißt, ich will sagen, daß das alles nicht das Anzeichen irgendeiner Störung ist; wenn du dabei ganz gesund bist, bedeutet das vielleicht, daß du schon gereift und an den Zeitpunkt herangekommen bist, da die Entwicklung des Lebens stehenbleibt, da es darin kein Rätsel mehr gibt und es sich ganz offenbart hat ...«
»Ich glaube, du willst sagen, daß ich gealtert bin?« unterbrach sie ihn lebhaft, »untersteh dich nicht!« Sie drohte ihm sogar. »Ich bin noch jung und kräftig ...« fügte sie, sich reckend, hinzu.
Er lachte.
»Fürchte dich nicht«, sagte er, »du hast keine Anlagen, irgendwann zu altern! Nein, das ist es nicht ... im Alter sinken die Kräfte und hören auf, gegen das Leben anzukämpfen. Nein, deine Traurigkeit und Bangigkeit ist, wenn ich nicht irre, eher das Anzeichen von Kraft ... Das Suchen eines lebhaften, tätigen Geistes geht manchmal über die Grenzen des Lebens hinaus, findet, aber selbstverständlich keine Antwort, und dann entsteht Traurigkeit und zeitweise Unzufriedenheit mit dem Leben ... Das ist die Traurigkeit der Seele, die das Leben über sein Geheimnis befragt ... Vielleicht ist das dein Fall ... Wenn es so ist, dann ist das alles nicht belanglos.«
Sie seufzte wohl hauptsächlich vor Freude, daß ihre Befürchtungen nun ein Ende hatten und sie in den Augen ihres Mannes nicht gesunken, sondern im Gegenteil noch gestiegen war ...
»Ich bin doch aber glücklich, mein Geist ist nicht müßig; ich träume nicht; mein Leben ist inhaltreich – was denn noch? Wozu diese Fragen?« sagte sie. »Es ist eine Krankheit, ein lastender Druck!«
»Ja, vielleicht ist es ein Druck für einen schwachen, finsteren Geist, der das nicht gewohnt ist. Diese Traurigkeit und diese Fragen haben vielleicht viele schon wahnsinnig gemacht; manchen erscheinen sie in Gestalt von unförmigen Visionen, von Hirngespinsten ...«
»Das Glück schäumt über den Rand, ich möchte so gern leben, und plötzlich kommt diese Bitternis hinzu ...«
»Ja! Das ist der Preis, mit dem das Feuer des Prometheus erkauft wird! Man muß diese Traurigkeit nicht nur dulden, sondern auch lieben und diese Zweifel und Fragen achten; sie sind der Überfluß, der Luxus des Lebens und erscheinen meistens nur auf den Gipfeln des Glückes, wo es keine rohen Wünsche gibt; sie entstehen
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