Obsession
dass Ihre eigene Tochter getötet wurde, weil Sie nicht aufgepasst haben?»
Ihr Gesicht wurde kreidebleich. Der blaue Fleck auf ihrer Wange hob sich wie ein Muttermal davon ab. «Wer hat Ihnen das gesagt?»
Ben hatte das Thema nicht ganz so brutal zur Sprache bringen wollen, aber nun konnte er nichts anderes tun, als weiterzumachen.
«Ich weiß, dass Sie schon einmal verheiratet waren. Und ich weiß von Ihrer Vorstrafe.» Er versuchte sich einzureden, dass
er keinen Grund hatte, sich schlecht zu fühlen.
Sandra schwankte leicht, als wäre sie kurz davor, in Ohnmacht zu fallen. Sie schloss die Augen. «Das haben Sie von diesem
verfluchten Detektiv, stimmt’s? Ich wünschte, John hätte ihn umgebracht.»
Das hat er beinahe getan, dachte Ben. «Hat er Geld verlangt?»
Ihr Gesicht wirkte abgespannt, als sie nickte. «Er hat John gesagt, er würde dem Jugendamt davon erzählen, wenn er ihm nichts
zahlt. Dämliches Arschloch.»
«Da hat Cole ihn zusammengeschlagen?»
Er dachte, sie würde ihn wieder anschreien, weil er nur Coles Nachnamen benutzte, aber sie tat es nicht. Dieses Stadium hatte
sie schon hinter sich gelassen. Sie schaute ihn nur an, als wäre eine Antwort auf seine Frage überflüssig.
|318| Er spürte, wie er rot wurde. «Wusste er nichts über Ihre Vergangenheit, bevor Quilley es ihm erzählt hat?»
«Doch, er wusste es. Aber es hat für ihn keine Rolle gespielt. Er ist anscheinend nie auf den Gedanken gekommen, dass ihn
irgendetwas daran hindern könnte, seinen Sohn zurückzubekommen. Es ist sein Sohn, und basta.»
«Sind Sie nicht auf den Gedanken gekommen?»
«Natürlich bin ich darauf gekommen! Aber was hätte ich denn tun sollen? Es ihm sagen? Ich wäre voll am Arsch gewesen, wenn
er gedacht hätte, wegen mir würde er seinen geliebten kleinen Sohn nicht zurückbekommen. Ich habe monatelang nicht richtig
geschlafen, weil ich Angst hatte, dass es herauskommt.»
Ihre Wangen hatten wieder Farbe bekommen, aber sie sah immer noch müde aus. «Ich war total erleichtert, dass es keiner herausgefunden
hat.»
«Hatten Sie keine Angst, dass man Sie im Fernsehen erkennen könnte?»
«Glauben Sie, ich sehe noch so aus wie vor zwölf Jahren?», meinte sie höhnisch. «Gott, ich wünschte, es wäre so. Außerdem
dachte ich, die Sache ist ausgestanden. Die Behörde hat keine Verbindungen zwischen mir und dieser dummen, drogenabhängigen
Nutte hergestellt, die zuließ, dass ihr Mann ihr Kind totprügelt. Ich dachte, ich habe das alles endlich hinter mir gelassen
und ein bisschen Rampenlicht verdient.» Ihre kurze Aufheiterung war nicht von Dauer. «Dann ist wieder dieser verfluchte Detektiv
aufgetaucht.»
«Wie hat Cole es aufgenommen?», fragte Ben.
Sie starrte ihn finster an. Der blaue Fleck auf ihrer Wange leuchtete fast. «Was glauben Sie wohl?»
Er schaute verlegen weg.
«Das war das erste Mal, dass er mich geschlagen hat.»
|319| Ben musste daran denken, wie Cole sie gegen den Zaun geschleudert hatte. Anscheinend konnte man ihm seine Skepsis ansehen.
Ihre Gesichtszüge verhärteten sich. «Ich habe schon einmal einen Mann gehabt, der mich verprügelt hat. Glauben Sie, ich hätte
nochmal so einen geheiratet?»
Doch sie schien keine Kraft mehr zu haben, um ihren Zorn aufrechtzuerhalten. Sie sank wieder gegen die Arbeitsplatte und zog
an der Zigarette. «Gott, hätte ich doch bloß nie von Ihnen oder Ihrem Sohn gewusst. Warum konnten Sie uns nicht einfach in
Ruhe lassen?»
Diese Frage hatte sich Ben selbst häufig gestellt. Er hatte keine Antwort. «Ich habe das alles nicht gewollt. Wenn Ihr Mann»
– fast hätte er «vernünftig» gesagt, aber dieses Wort passte nicht einmal mehr annähernd zu Cole – «anders gewesen wäre, hätte
ich mich damit zufriedengegeben, Jacob einmal im Monat zu sehen.»
Ob das stimmte, wusste er allerdings nicht genau. Er konnte sich an keinen Zeitpunkt erinnern, an dem es zwischen ihm und
Cole hätte anders verlaufen können. Beide waren durch ihre Charaktere und die Ereignisse zwangsläufig ihrem Weg gefolgt, der
Ben nun in diesen Raum geführt hatte, um mit Coles Frau zu sprechen. Und wohin würde er ihn von dort weiterführen? Er hatte
das verwirrende Gefühl, neben sich zu stehen und auf etwas zurückzuschauen, was bereits geschehen war. Ihm war, als wäre die
Entscheidung bereits getroffen worden und wartete nur darauf, dass er hinterherkam.
Dann ging das Gefühl vorüber.
«Wie haben Sie ihn kennengelernt?»,
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