Obsession
dass er noch immer das Taschentuch in der Hand hielt, das er auf seine Wange gedrückt hatte. Das Blut darauf
sah aus wie das Klecksbild bei einem Rorschachtest. Er knüllte es zusammen und stopfte es in seine Tasche, ohne sich die Mühe
zu machen, das Muster zu deuten.
[ Navigation ]
|339| Kapitel 19
Keith unternahm seinen Selbstmordversuch in der gleichen Woche, in der die Sozialbehörden beschlossen, eine Sitzung mit allen
an Jacobs Fall beteiligten Personen abzuhalten. Ben hatte ihnen die Fotos von Coles Aktivitäten im Garten vorgelegt und sie
von Sandras Bereitschaft unterrichtet (wenn man es so nennen konnte), zu bestätigen, dass ihr Mann geistig krank war und eine
Bedrohung für seinen Sohn darstellte. Das allein wäre schon genug Zündstoff gewesen, um eine Ermittlung auszulösen. Doch seine
Neuigkeiten über Sandras Vergangenheit, die man völlig übersehen hatte, kamen einem brennenden Streichholz in einer Kiste
voller Feuerwerkskörper gleich.
Ben sagte sich, dass er keine Wahl hatte. Er war Sandra in keiner Weise verpflichtet und konnte es sich nicht leisten, Beweise
zu ignorieren, die seine Beschwerde untermauerten. Er versuchte sich damit zu beruhigen, dass die Sünden ihrer Vergangenheit
sowieso eines Tages entdeckt worden wären und dass er sie ausreichend schützte, indem er über ihre jüngsten Affären Stillschweigen
bewahrte.
Aber dadurch fühlte er sich kein bisschen besser.
Sandras Bitte, ihre Aussage vertraulich zu behandeln, wurde von den Behörden stattgegeben, wenn auch ungern. Trotz allem hatte
Ben weiterhin das Gefühl, dass man Cole |340| eigentlich nicht für gefährlich hielt. Er wusste nicht, ob die Behörden sich einfach nur sträubten, die Fehler bei ihrer ursprünglichen
Einschätzung zuzugeben, aber besonders Carlisle reagierte mit dem trotzigen Widerwillen eines Kindes, das sich die Finger
verbrannt hatte. Auf jeden Fall konnte der Sozialarbeiter seine Abneigung gegen Ben nun nicht mehr verbergen. Er betrachtete
ihn offenbar als Unruhestifter, der nur versuchte, eine neu geformte Familie auseinanderzureißen. Ben hoffte, dass es den
Mann nicht blind machte für das Risiko, das Cole für Jacob darstellte.
Er versuchte, seine Erwartungen realistisch einzuschätzen. Selbst jetzt war Ann Usherwood noch der Meinung, dass er keine
Chance hatte, Jacob zurückzubekommen. Diese Möglichkeit würde bei der Sitzung nicht einmal in Betracht gezogen werden. «Wie
ich Ihnen bereits gesagt habe, Mr. Murray, es muss eine definitive Risikoschwelle erreicht sein, damit überhaupt in Erwägung gezogen werden kann, Jacob seinem
Vater wegzunehmen, und so weit ist es in diesem Fall noch lange nicht. Der Junge wird möglicherweise ins Kinderschutzprogramm
aufgenommen, man wird vielleicht auf einer strengen Überwachung bestehen, während die geistige Gesundheit seines Vaters beurteilt
wird, aber das ist alles. Ich glaube wirklich, Sie sollten sich alles Weitere aus dem Kopf schlagen.»
Aber das konnte er nicht. Und er glaubte weiterhin nicht, dass es so einfach werden würde. Es ging nicht mehr nur um Jacob
und Cole, nun ging es auch um Ben und Cole. Eine vernünftige Lösung war für ihn nicht abzusehen.
Cole würde sie nicht zulassen.
Er grübelte immer noch darüber nach, was wohl passieren würde, als Tessa anrief, um ihm mitzuteilen, dass Keith die Abgase
seines neuen BMW mit einem Schlauch ins |341| Innere des Wagens umgeleitet und sich darin eingeschlossen hatte.
In gewisser Weise war es ein größerer Schock für ihn als Sarahs Tod. Der war ein Zufall gewesen, eine Laune des unergründlichen
Universums, eine Katastrophe zwar, aber nicht anders, als wenn sie bei einem Flugzeugabsturz oder durch einen Blitzschlag
ums Leben gekommen wäre. Keiths Selbstmordversuch schien jedoch ein ungeschriebenes Naturgesetz zu verletzen. Solange Ben
ihn kannte, war er der Ordnungsliebende und Verlässliche von ihnen beiden gewesen. Es war undenkbar, dass er versuchte, sich
das Leben zu nehmen.
Aber das galt auch dafür, dass er eine Affäre hatte.
Ben hatte sofort ins Krankenhaus fahren wollen, doch Tessa war dagegen gewesen. Keith sei außer Lebensgefahr, hatte sie gesagt,
und sowohl sie als auch die Jungs seien bei ihm. «Sonst braucht er niemanden.»
Sie hatte kühl und selbstbeherrscht geklungen, so als würde sich ihr Ehemann von einer Grippe erholen und nicht von einem
fehlgeschlagenen Selbstmordversuch. Ben nahm an, dass es am
Weitere Kostenlose Bücher