Obsession
nicht viel.»
Die Röte verließ langsam ihre Wangen, aber sie war noch immer komisch.
«Es war doch nichts zwischen euch, oder? Es geht mich |44| zwar nichts an», fügte er schnell hinzu, «aber wenn ich dich schon verärgert habe, möchte ich auch den Grund kennen.»
«Sie ist meine Freundin, das ist alles. Wahrscheinlich habe ich bei ihr einfach immer ein bisschen das Gefühl, sie beschützen
zu müssen.»
Ben hatte keine Ahnung, warum. Jessica schien ganz gut auf sich selbst aufpassen zu können. Aber nach diesem Abend versuchte
er, seine Meinung über sie für sich zu behalten.
Als sie in das Haus in Camden gezogen waren, hatte er dennoch deutlich gemacht, dass er nicht wollte, dass Jessica einen Schlüssel
erhielt. Da sie sowieso kaum vorbeikam, hätte er sich die Mühe sparen können. Das Haus war zu sehr von ihm geprägt. Sarah
hatte in den letzten Monaten nur ein- oder zweimal mit ihr gesprochen, und ohne groß darüber nachzudenken, war Ben im Stillen
froh gewesen, dass die beiden endlich getrennte Wege gingen. Egal ob sie nun Freundinnen waren oder nicht, Sarah hatte in
Jessicas Gegenwart nie einen unbeschwerten Eindruck gemacht.
Und nun, dachte er, als er die richtige Türnummer erreichte, hatten sie beide Sarah verloren.
Er atmete tief durch, ehe er sich bemerkbar machte. Als ihm bewusst wurde, dass sein Herz nicht nur vor Erschöpfung raste,
ballte er die Faust und klopfte an die Tür. Niemand kam, um zu öffnen.
In der Mitte der Tür befand sich ein kleiner Spion, und er hatte plötzlich das Gefühl, dass Jessica ihn dadurch beobachtete.
Er klopfte erneut, etwas fester dieses Mal. Nach kurzer Zeit ging die Tür auf.
Jessica betrachtete ihn ausdruckslos. Manchmal, wenn sie bei Sarah gewesen war und sich von ihm unbeobachtet fühlte, hatte
sie gelächelt und für einen flüchtigen Augenblick |45| eine Lebhaftigkeit ausgestrahlt, die ihr fast Anmut verlieh. Diese Momente waren allerdings selten, und nun lächelte sie nicht.
Sie trug ihre gestärkte Hebammentracht wie eine Rüstung. Ihr Haar war in der Mitte gescheitelt, streng zurückgekämmt und wurde
von einer schwarzen Plastikspange gehalten. Ihr Mondgesicht war ungeschminkt. Ben war leicht geschockt, als ihm auffiel, wie
rein und jung ihre Haut aussah. Er fragte sich, ob sie sich aus Mangel an Eitelkeit nicht schminkte oder ob das Gegenteil
der Fall war.
«Ich muss in zehn Minuten zur Arbeit», sagte sie ohne Begrüßung und trat zurück, um ihn hereinzulassen.
Er ging durch den kurzen Flur ins Wohnzimmer. Es war aufgeräumt und beinahe klinisch sauber. Eingerichtet war es mit einer
dreiteiligen Sitzgarnitur, von der nur ein Sessel benutzt wirkte, und einem Sperrholzschrank, in dem eine Stereoanlage und
ein paar Bücher standen. Ansonsten war das Zimmer leer. Es gab nicht eine einzige Pflanze.
Er setzte sich nicht hin, und als Jessica ihm folgte, bot sie ihm auch keinen Platz an. Sie blieb mit verschränkten Armen
vor dem ausgeschalteten Gasofen stehen. «Und? Du hast gesagt, du willst mit mir reden.»
Bei dem Begräbnis hatten sie sich kaum wahrgenommen, und als er sie anrief, war sie unverhohlen abweisend gewesen. Er hatte
betonen müssen, dass es wichtig sei, doch nun, da er dort war, wusste er nicht, wo er anfangen sollte. «Es geht um Sarah.»
Sie schaute ihn wartend an.
«Hör zu, ich weiß, dass wir uns nie gut verstanden haben, aber du warst Sarahs beste Freundin», fuhr er fort. «Du kanntest
sie schon, bevor ich sie kennengelernt habe.»
Jessica blieb reserviert. Sie starrte ihn so hart und unversöhnlich an wie ein Stein. Ben konnte sich nicht vorstellen, |46| wie ein derart kalter und unsympathischer Mensch Hebamme sein konnte. Und nicht zum ersten Mal fragte er sich, aus welchem
Grund sie diesen Beruf erlernt hatte.
Aber jetzt war nicht der richtige Moment, um darüber nachzudenken.
«Ich wollte dich über die Zeit befragen, als ihr beide zusammengewohnt habt. Als sie schwanger war. Sarah hat mir ein paar
Sachen erzählt, aber nicht in allen Einzelheiten.»
«Und?»
«Es ist ein Teil ihres Lebens, über den ich kaum etwas weiß.»
Jessica lächelte beinahe. Aber es hatte nichts Hübsches oder Anmutiges an sich. «Jetzt willst du mir das also auch noch nehmen?»
Ben hatte nicht erwartet, dass sich ihre Feindseligkeit so offen Bahn brach. «Ich will dir gar nichts nehmen. Und ich habe
dir auch nie etwas genommen.»
Ihre Miene sagte, dass sie anderer Meinung war. Er fühlte
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