Obsession
sich unbehaglicher denn je. «Vielleicht ist es einfach ein schlechter
Zeitpunkt. Belassen wir es vorerst dabei.»
«Was dich angeht, wird es nie einen guten Zeitpunkt geben», sagte sie, und nun trat ihr ganzer Hass zutage. «Ich habe mich
nur wegen Sarah auf ein Treffen mit dir eingelassen. Aber danach möchte ich dich nie wieder sehen. Also frag mich, was du
wissen willst, und dann verschwinde.»
«Na schön. Der wahre Grund, warum ich gekommen bin, ist Jacob.» Er beobachtete ihre Reaktion, konnte aber keine erkennen.
«Was ist mit ihm?»
«Du hast ihn entbunden. Ich möchte nur wissen, was geschehen ist.»
|47| «‹Was geschehen ist›? Wie meinst du das? Sie hat ihre Wehen bekommen, und ich habe die Geburt begleitet. Das war’s.»
«Warum ist sie nicht in ein Krankenhaus gegangen?»
Jessicas Mund war eine schmale Linie. «Hat sie dir nichts darüber erzählt?»
«Doch, aber ich wollte dich fragen.»
Sie starrte ihn finster an und zuckte dann knapp mit den Achseln. «Es war mitten in der Nacht. Die Zeit war knapp. Sie bekam
plötzlich ihre Wehen, und als uns klar wurde, was passierte, war das Baby schon unterwegs.» Sie hob ihr Kinn ein wenig und
starrte ihn herablassend an. «Außerdem hatte sie keinen Grund, ins Krankenhaus zu gehen. Ich war ja da.»
«Aber du warst damals noch in der Ausbildung. Was wäre gewesen, wenn es Probleme gegeben hätte?»
«Dann hätte ich Hilfe geholt. Es gab aber keine.»
«Hast du keinen Arzt gerufen?»
«Wie gesagt, dafür gab es keinen Grund. Am nächsten Morgen haben wir einen geholt. Er kam vorbei, hat sich vergewissert, dass
es beiden gutging, und ist wieder gegangen. Ich habe mehr Ahnung von einer Geburt als jeder Allgemeinarzt. Oder ihre Mutter,
obwohl die einen riesigen Aufstand gemacht hat.» Sie schüttelte verärgert den Kopf. «Sie wollte ihre kleine Tochter unbedingt
mit nach Hause nehmen. Als wenn ich ihr nicht alles hätte geben können, was sie brauchte.»
Sie schaute ihn nicht mehr an. Die Wut, die sie vor sechs Jahren verspürt hatte, holte sie nun wieder ein. Sie tat Ben leid.
Mehr und mehr hatte er das Gefühl, seine Zeit zu vertun. Eine Frage musste er noch stellen.
«Sarahs Vater hat mir erzählt, dass Jacob ein großes Baby war und mehr als sechs Pfund gewogen hat.»
|48| «Sechs Pfund und neunzig Gramm.»
Die Zahl wurde ihm entgegengeschleudert. Was sollte er gegen diese Genauigkeit einwenden? «Er sagte, der Junge habe überhaupt
nicht wie eine Frühgeburt ausgesehen.»
«Und?»
«Ist das nicht ungewöhnlich?»
Jessica betrachtete ihn verächtlich. «Nicht besonders. Möglicherweise war er auch gar keine echte Frühgeburt. Sarahs Perioden
waren unregelmäßig, man konnte also nur schwer sagen, in welcher Schwangerschaftswoche sie genau war. Und manche Babys sind
eben größer als andere.» Ihre Stimme klang jetzt spöttisch. «Möchtest du sonst noch etwas wissen?»
Er fühlte sich nicht einmal erleichtert. Nur dumm. «Nein.»
«Gut. Dann kannst du ja auch gehen.»
Sie stellte sich an die Wohnzimmertür. Beschämt ging Ben an ihr vorbei in den Flur. Von dort führte ein weiterer Durchgang
zur Küche, die genauso leer und sauber war wie der Rest der Wohnung. Auf einem kleinen Tisch lag ein einzelnes Platzdeckchen
neben einem rostfreien Salz-und-Pfeffer-Ständer und einer Essigflasche. Die Dinge sahen aus wie fest installiert. Am Rand
des Tisches lag eine ordentlich gefaltete Zeitung. Ben hielt inne und ging zurück.
Es war die
Daily Mail
.
Jessica stand hinter ihm. «Was ist los?»
«Ich wusste nicht, dass du die
Mail
liest.»
«Was hat es dich zu interessieren, welche Zeitung ich lese?»
«Ich hätte dich eher für eine
Guardian-
Leserin gehalten.»
«Bin ich aber nicht. Ich habe schon immer die
Mail
gelesen. Aber das geht dich überhaupt nichts an.»
|49| Ben drehte sich zu ihr um. «Hast du sie auch schon gelesen, als du mit Sarah zusammengewohnt hast?»
Er hatte den Eindruck, dass ihre Verärgerung einer Verunsicherung wich. «Vielleicht. Ich weiß nicht mehr.»
«Sagtest du nicht gerade, du hast sie schon immer gelesen?»
«Und wennschon? Hör zu, du hast vielleicht alle Zeit der Welt, aber ich muss jetzt zur Arbeit gehen.»
Sie eilte an ihm vorbei zur Eingangstür. Ben blieb, wo er war. «Ich habe die Ausschnitte gefunden.»
Er hatte das Gefühl, sie würde kaum merklich innehalten. Als sie sich umwandte, war ihr Blick nicht nur reserviert, sondern
wachsam.
«Welche
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