Obsession
sich zu Jacob auf dem
Rücksitz um. Der Junge schwenkte eine Hand vor seinem Gesicht umher und starrte durch die gespreizten Finger nach draußen.
«Wir sind da, Jacob. Willst du den Gurt selbst abmachen, oder soll ich es tun?»
Für einen Augenblick hielt Jacob inne, dann fuhr er in seinem Tun fort. Ben unterdrückte seine Wut, stieg aus dem Wagen und
öffnete die hintere Tür. Jacob starrte ihn durch seine Finger an, als er den Gurt löste. Ben nahm die freie |69| Hand des Jungen und führte ihn zum Schultor. Erst als Jacob aufstöhnte und an seiner Hand zog, fiel Ben ein, dass er das gewohnte
Programm vergessen hatte.
«Okay, okay, tut mir leid.» Ben ließ sich von dem Jungen zu dem alten Briefkasten ziehen, der an der Mauer der Schule angebracht
war. Er wartete, während sich Jacob auf Zehenspitzen stellte und erst die rechte und dann die linke Hand in den Schlitz steckte.
Kurz nachdem Jacob hier eingeschult worden war, hatte er jemanden beobachtet, der einen Brief in den Kasten steckte, und seitdem
bestand er darauf, dieses Ritual jeden Morgen zu vollziehen, ehe er hineinging. Wenn die Schule vorbei war, spielte der Briefkasten
allerdings keine Rolle mehr. Dann musste er den Wagen von vorne nach hinten der Länge nach abschreiten und mit der linken
Hand berühren. Die Erfahrung hatte Ben gelehrt, dass es besser war, Jacob seine Rituale ausführen zu lassen, als ihn dabei
zu stören, unabhängig davon, wie eilig er es hatte.
Nachdem er sein Programm beendet hatte, nahm Jacob wieder Bens Hand, und sie konnten durch das Tor gehen.
Die Renishaw-Schule befand sich auf dem Gelände eines alten Pfarrhauses. Das Haus war schon lange abgerissen, ein kleiner
Teil des Grundstücks war asphaltiert und zu einem Parkplatz ausgebaut worden, der größte Teil des Gartens existierte jedoch
noch. Versteckt hinter einer brusthohen Steinmauer, bildete er inmitten der umliegenden Betonwüste eine kleine Oase aus Büschen,
Bäumen und Rasenflächen. Der Rasen war frisch gemäht, und der satte Geruch überlagerte die Abgase von der Straße und erinnerte
Ben an seine Kindheit. Ein nostalgischer Anflug, der tiefer drang, als er gedacht hätte, und ohne Vorwarnung den Schmerz des
Verlustes aufwühlte. Ärgerlich verdrängte er diese Gefühle, brachte Jacob |70| hinüber zu den Pavillons, die an der Stelle des Pfarrhauses standen, und sie betraten den zweiten.
Auf den ersten Blick wirkte der Raum wie jedes Klassenzimmer: An den Wänden hingen Kinderzeichnungen und farbenfrohe Poster
mit großen Buchstaben. Doch die Klasse war wesentlich kleiner als an normalen Schulen: Neben Jacob bestand sie lediglich aus
acht weiteren Kindern, nur zwei davon waren Mädchen. Der andere Unterschied war, dass es weniger Geplapper gab als gewöhnlich.
Solange man sie nicht ermutigte, neigten die Kinder dazu, allein statt miteinander zu spielen. Als Ben Jacob zum ersten Mal
in die Schule gebracht hatte, war ihm diese relative Ruhe im Klassenzimmer unheimlich vorgekommen.
Mittlerweile nahm er sie kaum noch wahr. Mrs. Wilkinson, die Lehrerin, lächelte ihn über den Kopf eines kleinen Jungen an, der vor ihr stand. Er redete, ohne Luft zu holen,
auf sie ein, schaute aber nicht sie an, sondern starrte die ganze Zeit hinab auf das Rad eines Spielzeugautos.
«Entschuldige, Terence, Jacob ist mit seinem Vater gekommen», sagte sie und ging an ihm vorbei. Ohne seine Erzählung zu unterbrechen,
drehte sich der Junge um und folgte ihr, den Blick noch immer auf das Autorad gerichtet.
«Guten Morgen», begrüßte sie Ben über den Monolog hinweg. Mrs. Wilkinson war eine mollige Frau Mitte vierzig mit einer Engelsgeduld, die Ben an ihr beneidete und die ihm ein schlechtes
Gewissen bereitete. «Terence, warum schaust du nicht gemeinsam mit Jacob, was Melissa macht?»
Die Lehrerin schob die Jungen sanft in Richtung der anderen Kinder. Als Ben spürte, was als Nächstes kommen würde, spannte
er sich an. «Das mit Ihrer Frau tut mir so leid», sagte sie. Das Mitgefühl in ihrer Stimme erstickte Ben beinahe.
|71| Er nickte und wechselte schnell das Thema. «Danke. Ich, äh, heute Nachmittag wird Jacob von einer Bekannten abgeholt. Jetzt
muss ich los.»
Er schenkte ihr das netteste Lächeln, das er sich abringen konnte, und eilte zur Tür, ehe sie noch etwas sagen konnte. Er
ertrug ihren verständnisvollen Blick nicht. Es war ein Blick, den er mittlerweile nur zu gut kannte. Er hasste ihn.
Draußen schien
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