Obsession
schwach durch die Wolken. Dieses
Mal ließ er die Stadt links liegen und fuhr direkt den Berg hinauf. Er parkte wieder vor dem überwucherten Holzgatter, schulterte
seine Kameratasche und durchquerte den Wald. Als er auf den Trampelpfad kam, erinnerte er sich genau an den Weg. Durch die
Bäume konnte er die Häuser sehen. Nach einer Weile meinte er, weit genug gegangen zu sein, verließ den Pfad und kletterte
querfeldein den Hang hinab.
Er war ein Stück zu weit und marschierte zurück, bis er direkt über dem Haus war. Niemand war zu sehen, aber damit hatte er
gerechnet. Jacob war bestimmt in der Schule, |188| Cole auf dem Schrottplatz und Sandra in dem Pub, in dem sie als Bardame arbeitete. Er schaute sich um. Nicht weit von der
Stelle, wo er am vergangenen Samstag gestanden hatte, gab es eine Gruppe buschiger, junger Eichen, deren unterste Zweige teilweise
über den Boden strichen. Sie krallten sich an seinen Sachen fest und kratzten ihn, aber sobald er inmitten der Bäume war,
befand er sich an einem relativ freien Platz, an dem er sich verstecken konnte. Er stellte seine Kameratasche ab und knipste
ein paar kleine Zweige ab, die im Weg waren. Nachdem er die überhängenden Äste vor sich abgebrochen hatte, hatte er einen
ungestörten Blick hinunter in Coles Garten.
Er holte das Teleobjektiv hervor und schraubte es an seine Nikon. Durch das Gewicht des Objektivs war die Kamera so schwer
und instabil, dass er sie auf ein Stativ montieren musste. Nachdem alles aufgebaut war und er durch den Sucher schaute, war
der Garten plötzlich direkt vor ihm. Erschrocken wich er zurück und sah dann wieder durch die Kamera. «Wow», murmelte er und
stellte die Schärfe ein.
Keines der Objektive, mit denen er sonst arbeitete, war mit diesem Tele zu vergleichen. Die Rückseite des Hauses war im Sucher
so nah, dass die körnige Oberfläche der Ziegelsteine, die abgeblätterte Farbe und selbst die Schrift auf der Streichholzschachtel,
die auf dem Fensterbrett über der Spüle lag, so klar und deutlich zu erkennen waren, als würde er nur wenige Zentimeter davorstehen.
Er suchte den Garten ab, der, wie er nun sehen konnte, von einem hohen Maschendrahtzaun umgeben war. In der Mitte des Schrotthaufens
stand ein Autositz, auf dem Jacob gesessen haben musste, während Cole seiner irren Kraftmeierei nachgegangen war. In den Boden
daneben hatte sich das Gewicht eingegraben, das er benutzt hatte, ein geriffelter Metallzylinder, der aussah |189| wie ein Motorenteil. Ob es wieder bewegt worden war oder nicht, konnte er nicht erkennen.
Das Bild im Sucher wirkte flach und ein wenig unrealistisch, da es dem Teleobjektiv durch die Verdichtung der Entfernung an
Tiefenschärfe mangelte. Die Schrotthaufen im Vordergrund lösten sich zu einzelnen Metallformen auf, die gefährlich wackelig
aufgestapelt und völlig verrostet waren. Bei diesem weiteren Beweis für Coles Unverantwortlichkeit stieg wieder Wut in Ben
auf. Überall standen zerklüftete und messerscharfe Kanten hervor, die nur darauf zu warten schienen, etwas zu stechen, aufzuschlitzen
oder zu zerquetschen. Er konnte nicht glauben, wie man ein Kind einem derart tödlichen Spielplatz anvertrauen konnte. Erneut
fragte er sich, wie Cole damit durchgekommen war. Irgendjemand hätte ihn doch dazu bringen müssen, den Garten zu räumen, bevor
man Jacob in seine Obhut gab.
Es sei denn, der Schrott war zuvor noch nicht dort gewesen.
Ben begann, Aufnahmen von den Metallhaufen zu machen, und achtete darauf, dass auf jedem Bild zumindest ein Teil des Hauses
zu sehen war. Er verschoss drei Filme, ehe er meinte, dass es für eine Trockenübung reichte. Als er sein Auge vom Sucher nahm
und seine Sicht wieder unvergrößert war, hatte er das merkwürdige Gefühl, als würde er aus dem Kino in die alltägliche Welt
zurückkehren. Das Haus der Coles sah geschrumpft und unbedeutend aus. Noch immer war niemand zu sehen. Ben war ein wenig enttäuscht.
Doch während er den Hang hinunterschaute, überkam ihn plötzlich ein völlig anderes Gefühl. Erst nach einer Weile erkannte
er, dass es Vorfreude war.
Unsicher, warum es ihn beunruhigte, packte er seine Ausrüstung zusammen und fuhr nach Hause.
|190| Er nahm sich vor, am nächsten Nachmittag früh mit der Arbeit aufzuhören und wieder in den Wald zu gehen, doch zur Mittagszeit
hatte es mit der Ausdauer eines Langstreckenläufers zu regnen begonnen. Der Regen hielt während der nächsten Tage
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