Obsession
Indem er die Arme gestreckt ließ, vollführte er die Bewegung
in die andere Richtung, bis er es wieder hinter seinem Nacken hielt. Er verharrte einen Augenblick in der Position, dann wiederholte
er die Übung.
Jacob spielte währenddessen unbekümmert weiter und merkte gar nicht, was über ihm vor sich ging. Da das Ganze |182| den Anschein erweckte, als wäre diese Nummer für beide nichts Neues, wich Bens Sorge einer Wut, die bei jeder Wiederholung
der Übung stärker wurde. Schließlich verspürte er einen Hass auf diesen Mann, den er zuvor nicht gekannt hatte. Egal ob Cole
seine Kraft und Ausdauer testen oder nur angeben wollte, es gab keine Ausrede für sein Tun. Es war unverantwortlich, gefährlich,
dumm ... Ben gingen die Attribute aus, als er sah, wie sich Coles Bewegungen verlangsamten. Er brauchte eine Ewigkeit, um das Gewicht
über den Kopf zu stemmen. Als er es geschafft hatte, zögerte er. Selbst aus der Entfernung konnte man erkennen, wie die Arme
zitterten.
O Gott, bitte, tu es nicht ...
Unerbittlich senkten sich die Arme hinab. Das Gewicht kam in der Waagerechten zum Stillstand und schwebte wackelig über Jacobs
Kopf. Cole hielt es länger in dieser Position als zuvor. Ben konnte die Anstrengung seiner Muskeln und Sehnen beinahe nachempfinden.
Bitte ... Heb es hoch.
Heb es doch hoch.
Langsam begannen sich seine Arme zu heben. Nach einer Weile hielten sie inne, das Gewicht zog sie wieder nach unten. Nachdem
es über Jacobs Kopf zum Stillstand gekommen war, hob Cole es wieder an. Jetzt sah es so aus, als wenn er das Gewicht im Bemühen,
es über den Kopf zu stemmen, absichtlich hin- und herschaukelte. Einen schrecklich langen Moment passierte gar nichts. Dann
schaffte er es, schwenkte noch in der Stemmbewegung zur Seite und ließ das Gewicht fallen.
Es landete direkt neben Jacob. Ben sah, wie sich der Junge umdrehte, um es anzuschauen, und sich dann wieder seinem Spiel
widmete, während Cole auf die Knie sank.
«Du irres Arschloch», sagte Ben laut. «Du verdammtes, |183| irres Arschloch!» Am liebsten wäre er den Hang hinabgelaufen, hätte sich über den Zaun geschwungen und Cole mit einem seiner
geliebten Metallteile niedergestreckt. Am liebsten hätte er Jacob in den Arm genommen und in Sicherheit gebracht, zurück nach
Hause, wo er hingehörte.
Aber er wusste, dass Cole ihn dann zu Brei geschlagen hätte.
Cole stand wieder auf den Beinen, war aber immer noch vornübergebeugt und rang offenbar nach Atem. Hinter ihm rührte sich
etwas. In einem der Fenster im Erdgeschoss tauchte eine Gestalt auf. Dem strohblonden Haar nach war es Sandra Cole. Sie schien
auf ihren Mann hinabzuschauen.
Aus der Entfernung konnte sich Ben nicht sicher sein, aber es sah so aus, als wäre sie nackt.
Eine Weile änderte sich nichts an dem Bild. Dann hinkte Cole zu einem Schuppen, der halb vom Schrott verdeckt war. Er ging
hinein und schloss die Tür hinter sich. Als Ben wieder zum Haus schaute, stand niemand mehr am Fenster.
Aber er hatte genug gesehen. Er fühlte sich so erschöpft, als wäre er derjenige gewesen, der das Gewicht gestemmt hatte. Die
Erinnerung daran entfachte seine Wut neu. Während er versuchte, dieses Gefühl in Entschlossenheit umzulenken, warf er einen
letzten Blick auf Jacob und machte sich auf den Weg zurück zum Wagen.
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|184| Kapitel 11
Ben merkte, dass der Sozialarbeiter ihm nicht glaubte. «Ich bitte Sie, er hätte getötet werden können! Wenn Cole das Teil
fallen gelassen hätte, wäre es dem Jungen auf den Kopf geknallt!»
Carlisle hatte eine neutrale Miene aufgesetzt. «Aber Sie haben nicht versucht, ihn zu stoppen.»
«Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich zu weit weg war.»
«Und deshalb sind Sie einfach wieder gegangen, ohne einzuschreiten oder ihn wissen zu lassen, dass Sie dort waren.»
«Ich wusste, dass es nichts gebracht hätte! Er hat mir bereits deutlich zu verstehen gegeben, was passieren würde, wenn ich
dort wieder auftauche. Mein Gott, was wollen Sie denn noch?»
Er versuchte sich zu beruhigen. Die Beherrschung zu verlieren würde ihn nicht weiterbringen. Aber der Gedanke, dass diese
Machoübungen – und Gott weiß was noch – Tag für Tag weitergehen könnten, ließ ihn in Schweiß ausbrechen. Je länger er daran
dachte, desto mehr war er davon überzeugt, dass dieser testosterongesteuerte Scheißkerl nicht einfach nur ein unvernünftiger
Mensch war.
Er war geisteskrank.
Carlisle zog an
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