Obsession
vor. Damals in der Vorgeschichte, als Sarah noch gelebt hatte und Jacob
ihr Sohn gewesen war. Vor einem Jahr hatte er eine Familie gehabt. Sein Magen zog sich zusammen. «Ach ja, richtig.»
Das Model nahm einen letzten Zug von der Zigarette, kurbelte das Fenster ein wenig runter und schnippte sie hinaus. Im Luftstrom
fegte sie funkensprühend davon. Die junge Frau schloss das Fenster und rutschte auf ihrem Sitz herum, sodass sie halb gegen
die Tür lehnte und ihn anschaute.
«Ich habe dich in den Nachrichten gesehen», sagte sie. Bens Magen zog sich noch mehr zusammen. «In der Agentur haben sie uns
eingeschärft, nichts zu sagen. Sie wollten nicht, dass sich jemand einmischt und dich verärgert, aber es |193| ist doch irgendwie eine Lüge, wenn man so tut, als wüsste man nichts, oder?»
Ben wollte nicht darüber sprechen. Er zuckte mit den Achseln und hoffte, dass sie den Wink verstand. Sie interpretierte die
Geste als Zustimmung, machte es sich auf dem Sitz bequem und fuhr fort.
«Du musst echt voll fertig gewesen sein, so wie die über dich gesprochen haben. Ich meine, manches war echt übel.»
«So ist die Presse halt.»
«Ich weiß, aber, verstehst du, es kam mir so ungerecht vor. Ich weiß nicht, wie du das ertragen hast.»
Ich hatte keine Wahl, verdammt.
Und als er eine hatte, hatte er die falsche getroffen. «Das ist jetzt vorbei.»
Sie legte bestürzt eine Hand vor den Mund. «Oh, tut mir leid, ich wollte nicht ...» Sie hob auch die andere Hand, sodass es aussah, als würde sie mit geballten Fäusten beten. «Mist, ich hätte nichts sagen
sollen, oder?»
«Schon gut.»
«Ich dachte nur ... Eigentlich weiß ich gar nicht, was ich dachte. Ich wollte nur, dass du weißt, dass ich davon weiß, und ... Mist, ich fange schon wieder an, oder? Du, es tut mir echt, echt leid.»
«Mach dir deswegen keine Sorgen.»
«Nein, aber du musst ja denken, dass ich echt gefühllos bin oder dumm oder so.»
Die Selbstsicherheit war ihr abhandengekommen. Sie sah so reumütig und jung aus, dass sich Ben alt und angestaubt fühlte,
was der Situation auch nicht half. Er seufzte. «Schon gut. Vergiss es.»
Eine Weile schwieg sie niedergeschlagen. «Weshalb wolltest du Fotograf werden?», fragte sie dann.
Gott.
Aber er unterdrückte seine Ungeduld. Sie wollte |194| ja nur nett sein. «Ich habe Kunst studiert und irgendwann begonnen, mit Fotos zu experimentieren. So fing es an.»
«Ich wollte eigentlich nie Model sein. Ich wollte Tänzerin werden. Aber ich war zu groß und konnte nicht tanzen.»
Ben lächelte pflichtbewusst. Sie fühlte sich dadurch ermutigt und plauderte für den Rest der Fahrt über sich und ihre Herkunft,
ihre Kindheit und ihr Lieblingsessen. Als würde sie für all die Interviews üben, wenn sie einmal reich und berühmt wäre, dachte
er. Aber immerhin wurde von ihm kein Beitrag verlangt. Er nickte gelegentlich, um den Eindruck zu erwecken, ihr zuzuhören,
hatte aber längst abgeschaltet und war ganz woanders.
Er fuhr sie zu dem Haus, das sie mit zwei anderen Mädchen teilte, wie er ihrer Lebensgeschichte nebenbei hatte entnehmen dürfen.
«Willst du auf einen Drink mit reinkommen?», fragte sie. Sie hatte sich leicht gebückt, um durch die geöffnete Beifahrertür
mit ihm zu reden. «An der Ecke ist auch ein guter Pub. Irisch. Da gibt es super Guinness.»
«Nein danke. Ich habe noch eine Menge zu tun.»
Sie sagte, dass es in Ordnung sei, sie würden sich morgen wiedersehen. Erst als er fast zu Hause war, ging ihm plötzlich auf,
dass die junge Frau nicht nur freundlich gewesen war, sondern mit ihrer Einladung wenn nicht direkt, so doch auf eine schüchterne
Weise Interesse an ihm bekundet hatte. Seine erste Reaktion war Überraschung, aber nicht so sehr deshalb, weil sie offenbar
etwas von ihm wollte, sondern weil er es nicht bemerkt hatte.
Seine zweite Reaktion war Entsetzen darüber, dass er sowieso nicht interessiert gewesen wäre.
Eine Zeitlang hatte er sich einreden können, dass das vollkommene Ausbleiben einer sexuellen Erregung seit Sarahs Tod nur
normal war. Und wenn nicht normal, dann auf jeden |195| Fall verständlich. Es waren erst fünf Monate, außerdem hatte er gar nicht das Bedürfnis, mit einer anderen Frau ins Bett zu
gehen. Dafür vermisste er sie noch immer viel zu sehr.
Gleichzeitig behagte ihm aber der Gedanke nicht, dass er für immer von der Hüfte abwärts tot sein könnte.
Das Fiasko mit Zoe konnte er dem Alkohol
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