Obsession
beim
geringsten Anlass morden und vergewaltigen, wenn sie wüssten, dass sie dafür aufgehängt werden. Aber was kriegen sie stattdessen?
Irgendeine lächerliche Bewährungsstrafe oder ein paar Stunden gemeinnützige Arbeit. Also, das würde
mich
bestimmt nicht abschrecken.»
Ben bezweifelte es nicht. Man müsste sie schon enthaupten, nur um sie zum Schweigen zu bringen. Er schaute zu Keith hinüber,
überrascht, dass er nicht eingeschritten war, um die Party wieder in Fahrt zu bringen. Doch Keith starrte wie abwesend in
sein Glas. Entweder nahm er den Monolog der Frau nicht wahr, oder es war ihm egal. Er war schon den ganzen Abend still gewesen,
was Ben verständlich fand, wenn man zehn Jahre mit Tessa hinter sich hatte. |201| Mit einem eingefrorenen, verzweifelten Lächeln im Gesicht warf sie ihrem Mann ständig bedeutungsvolle Blicke zu. Aber auch
die schien Keith nicht zu bemerken. Er leerte sein Glas und schenkte sich schweigend nach. Ben hielt das für eine gute Idee
und tat das Gleiche. Die Frau schwadronierte weiter.
«Unsere gesamte Gesellschaft ist zu lasch, das ist das Problem. Es ist ja nicht nur das Gefängnissystem. Wenn es in den Schulen
keine Disziplin mehr gibt, ist es kein Wunder, dass wir Generation für Generation ungebildete Rüpel hervorbringen. Und wenn
ich höre, dass sich Eltern neuerdings nicht mehr trauen, die eigenen Kinder zu züchtigen, also ich bitte euch!» Sie lachte
auf angesichts dieser Absurdität. «Entschuldigung, aber man muss Kindern beibringen, zwischen Falsch und Richtig zu unterscheiden.
Deswegen haben wir doch so viel Kriminalität unter den Jugendlichen. Sie haben keine Disziplin und keinen Respekt vor Autoritäten.
Das muss ihnen eingetrichtert werden.»
Ben hatte den ganzen Abend kontinuierlich getrunken. Bevor er zur Party aufgebrochen war, hatte er ein paar Biere zu sich
genommen, teils weil es ein Samstagabend war, teils weil er die Partys von Tessa und Keith schon kannte und wusste, was ihn
erwartete. Doch erst als sein gemurmeltes «Alle aufhängen» lauter herauskam, als er beabsichtigt hatte, wurde ihm klar, dass
er betrunken war.
O Scheiße
, dachte er, als ihn plötzlich jeder anstarrte. Die Frau musterte ihn, als wäre ihr erst in diesem Moment aufgefallen, dass
er dort saß. Sie lächelte etwas gönnerhaft, doch mit ihren Blicken verschoss sie Giftpfeile.
«Mir ist klar, dass gesunder Menschenverstand heutzutage nicht viel zählt. Es ist viel leichter, sich in Sarkasmus zu flüchten,
als tatsächlich etwas gegen diese Dinge zu unternehmen. |202| Vielleicht würdest du uns gerne erzählen, was man deiner Meinung nach tun sollte.»
Ben wollte keinen Streit. Er war sich nicht einmal sicher, ob er wirklich völlig anderer Meinung war. Es war einfach diese
Frau, die er nicht mochte. Seine Zunge lag von dem vielen Wein dick und schwerfällig im Mund. «Eigentlich nicht.»
«Nein?» Die Frau schaute in die Runde, sie betrachtete sich eindeutig als Sprecherin der anderen. Ben spürte, wie Wut in ihm
aufstieg, versuchte es aber zu ignorieren, weil er wusste, dass er zu viel getrunken hatte.
«Hast du Kinder?», fragte sie.
«Nur durch Heirat.»
«Äh, wollen wir nicht ...», begann Tessa, doch die Frau ließ sich nicht aufhalten.
«Und schlägst du sie, wenn sie ungezogen sind, oder lässt du ihnen alles durchgehen?»
«Da der Junge Autist ist, würde er nicht verstehen, warum man ihn schlägt, deshalb macht es wenig Sinn», sagte Ben. «Es sei
denn, du bist der Meinung, ich sollte ihn aus Prinzip trotzdem schlagen.»
Die Wangen der Frau wurden schlagartig rot. Sie wandte sich abrupt ab. Im Zimmer breitete sich eine betretene Stille aus.
So kann man eine Party auch sprengen, dachte er. Dann sprang Tessa auf.
«Will jemand Kaffee?», fragte sie mit einer Heiterkeit, die an Hysterie grenzte. Ben sah, wie ihre Lippen bebten, und schämte
sich. Nachdem die anderen erleichtert das Gespräch wiederaufnahmen, verließ er den Esstisch und ging nach oben ins Bad.
Er entleerte seine Blase und vermied beim Händewaschen den Blick in den Spiegel. Zeit, nach Hause zu gehen. Er war von Anfang
an nicht in Feierlaune gewesen. Abgesehen von |203| seinem schlechten Gewissen, eine Szene gemacht zu haben, hatte die Erwähnung von Jacob alle möglichen Gefühle aufgewühlt.
Dass es sein eigener Fehler war, machte es nicht leichter. Er beschloss, sich in aller Stille zu verabschieden und zu gehen.
Vermissen würde ihn
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