Obsession
für dein Kommen», sagte sie, und als sie sich anschauten, hatte Ben für einen
Augenblick das Gefühl, dass beide sich der Unehrlichkeit des anderen völlig bewusst waren. Mit einem steifen |206| Lächeln wandte er sich von ihr ab und verabschiedete sich so normal, wie er konnte, von Keith. Er kam sich vor wie ein schäbiger
Heuchler. Schnell eilte er die Stufen hinab zum wartenden Taxi, bevor jeder ihn durchschaute.
Er teilte sich das Taxi mit einem Paar von der Party, das im gleichen Stadtteil wohnte. Der höfliche Smalltalk verebbte schon
auf dem ersten Kilometer, und sie fuhren schweigend dahin wie Menschen, die nichts gemeinsam haben, und überspielten die Peinlichkeit,
indem sie aus dem Fenster starrten. Nachdem die beiden ausgestiegen waren, machte sich Ben auf dem Rücksitz breit und merkte,
dass er weder müde noch betrunken war. Nach seinem kurzen Konflikt mit der Frau und Keiths Enthüllung hatte er sich an Kaffee
gehalten.
Der Wagen rollte durch die dunklen Straßen, im Hintergrund klickte leise der Taxameter. Ben konnte sich nicht entscheiden,
ob Keiths Affäre ein Zeichen dafür war, dass sein Freund doch nicht so gesetzt war, wie er auszusehen begann, oder ob sie
zu einer vorzeitigen Midlife-Crisis gehörte, ein letztes Aufbäumen gegen die gesellschaftlichen und familiären Fesseln, die
ihn immer mehr einengten. Ben war erleichtert, nicht in seiner Haut zu stecken, doch dann fiel ihm wieder die Leere seines
eigenen Lebens ein. Er hatte wahrlich keinen Grund zur Selbstgefälligkeit. Einen Moment lang suchte er Trost in der Vorstellung,
dass er und Sarah wenigstens eine gute Beziehung gehabt hatten, dass sie einander treu gewesen waren, aber die Ironie darin
war allzu offensichtlich. Denn von einer anderen Seite betrachtet war ihre gesamte Ehe ein Schwindel gewesen und allein um
die Illusion herumgebaut, dass Jacob Sarahs leiblicher Sohn war.
Natürlich stimmte das nicht, aber das schlechte Gewissen, das sich bei diesem Gedanken einstellte, nährte seinen wachsenden
Selbstekel. Und sein Selbstmitleid, wenn er ehrlich |207| war. Mürrisch starrte er aus dem Fenster. Das Taxi kam an dunklen Geschäften mit Neonschildern und Pubs vorbei, aus denen
die letzten Nachtschwärmer torkelten. Er schaute auf seine Uhr. Es war noch nicht einmal Mitternacht. Dabei war es ihm vorgekommen,
als ob die Party ewig gedauert hätte.
Das Taxi bog in eine Seitenstraße, die ruhiger als die Hauptstraße und weniger beleuchtet war. Unter einer der wenigen brennenden
Straßenlaternen standen zwei junge Frauen. Sie waren stark geschminkt und trugen kurze, enge Kleider, unter denen nackte Oberschenkel
zu sehen waren. Eine lächelte Ben einladend an, als das Taxi vorbeifuhr, aber so tief war er noch nicht gesunken.
Außerdem würde ich
sowieso nur mein Geld verschwenden.
Wie konnte gerade er, wenn auch nur kurz, selbstgefällig über Keiths Untreue urteilen?
Sein Freund kriegte wenigstens einen hoch.
Ein Stück die Straße hinab ging noch eine Frau im blassblauen Licht aus dem Schaufenster eines geschlossenen Zeitungsladens
auf und ab. Obwohl sie dunkles Haar hatte und ihr Gesicht nicht zu erkennen war, musste Ben an Sandra Cole denken. Sein Magen
zog sich wieder zusammen, und für einen Augenblick zerrte etwas so Dunkles und Unerlaubtes an ihm, dass er es nicht erkannte.
Dann war es vorbei, und er spürte nur noch eine tiefe Depression. Er versuchte sich mit dem Gedanken aufzumuntern, am nächsten
Tag nach Tunford zu fahren, aber dadurch fühlte er sich nur schlechter. Sein Bedürfnis, wieder dort hinzufahren, kam ihm jetzt
nicht ganz geheuer vor. Jacob als Rechtfertigung zu nehmen hatte einen schlechten Beigeschmack. Er dachte plötzlich, wie schmutzig
es war, dort wie ein schwitzender Spanner mit seinem langen Objektiv herumzulaufen. Voller Selbstekel bezahlte er den Taxifahrer
und ging ins Haus. Im |208| dunklen Flur blieb er stehen und lauschte der Stille der unbewohnten Zimmer. Kein Jacob. Keine Sarah.
Dann nahm er eine Flasche Wodka aus der Anrichte und setzte sich hin, um sich zu betrinken.
Zur Mittagszeit war sein Kater zu einer allgemeinen Unpässlichkeit abgeklungen. Mit einem elenden Gefühl und leicht verwirrt
war er auf dem Sofa aufgewacht. Neben ihm stand wie ein stummer Vorwurf die Wodkaflasche auf dem Teppich. Er hatte zwei Paracetamol
genommen und mit einem Glas Wasser heruntergespült, sich dann an den Küchentisch gesetzt und den Kopf in die
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