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Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Titel: Ocean Rose. Erwartung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tricia Rayburn
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die Lufttemperatur sinken. Ich war die einzige Person, die bei diesem Wetter draußen war, saß hier in meinem ärmellosen Top, hochgekrempelter Jeans und Flipflops, als sei es ein strahlender Sommertag.
    Mit zurückgelegtem Kopf starrte ich in den Himmel und war dankbar für den eiskalten Regen, der mir übers Gesicht lief.
    »Tut mir leid«, sagte ich. Der Regen prasselte so ohrenbetäubend auf das Wasser, dass ich mich selbst nicht hören konnte, also versuchte ich es noch einmal mit lauterer Stimme. »Tut mir leid! Okay? Es tut mir schrecklich leid, dass du fort bist und ich noch immer hier und dass wir beide nicht zusammen sein können. Aber ich brauche dich genau wie früher, damit du mir sagst, dass meine Ängste nicht wahr sind und ich so tun kann, als wäre die Welt bald wieder in Ordnung.«
    Inzwischen schrie ich aus voller Kehle, aber sie schien mich nicht zu hören. Oder sie tat es doch und wusste nur nicht, was sie sagen sollte. Vielleicht hatte sie zugeschaut, alsich das Foto von Big Papa und Charlotte Bleu entdeckt hatte, und nun glaubte sie, alles hätte gar keinen Sinn gehabt. Ihr ganzes Leben hatte sie damit verbracht, mich zu beschützen und über mich zu wachen, und nun brauchte sie das endlich nicht mehr zu tun. Schließlich wusste sie jetzt, dass wir gar nicht die Schwestern waren, für die wir uns gehalten hatten. »Bitte«, sagte ich und war mir kaum bewusst, dass warme Tränen sich mit dem Regen auf meinem Gesicht mischten. »Bitte, Justine. Ich schaffe das nicht allein. Weil ich nicht so stark bin wie du. Ich habe es mir zwar eingebildet – nur für ein paar Tage –, aber ich habe mich geirrt.«
    Nach der Nacht mit Simon hatte ich tatsächlich begonnen zu glauben, dass mehr in mir steckte, als ich mir immer zugetraut hatte: Ich brauchte keine Angst vor der Dunkelheit zu haben. Ich konnte mich gegen Mom durchsetzen. Ich konnte sogar ins Wasser waten und mich nicht davor fürchten, in die Tiefe zu tauchen, wo das Licht erlosch und Stimmen zu einem fernen Flüstern verklangen … und wo ich mich heimischer fühlte als an Land.
    »Justine«, sagte ich ein letztes Mal mit hängendem Kopf. »Bitte.«
    Es hatte keinen Sinn, sich etwas vorzumachen. Ich wollte zwar nicht glauben, dass Big Papa – mein Big Papa – untreu gewesen war, aber es erklärte einfach alles. Nun war klar, warum Mom und ich uns weder ähnlich sahen noch gleiche Interessen hatten, warum sie sich für Abendkleider und VIP-Gartenpartys begeisterte, während ich Jeans trug und mich in Büchern vergrub. Meine Abstammung erklärte die natürliche, sofortige Sympathie zwischen Paige und mir und wahrscheinlich auch die Migräneattacken, die ich jedes Mal in Zaras Nähe bekam. Sie erklärte, warum Simon sich einbildete, etwas für mich zu fühlen, denn jemand von seiner Intelligenz hätte sich wohl kaum in ein Mädchen mit sovielen Ticks und Phobien verliebt. Meine übernatürliche Herkunft war vermutlich dafür verantwortlich, dass ich Justine aus dem Jenseits hören konnte. Und falls Moms Behauptung stimmte, dass Justine immer hatte kämpfen müssen, um die Aufmerksamkeit von mir auf sich zu ziehen, dann kannte ich jetzt auch dafür den Grund.
    Nicht zuletzt war es eine Erklärung für die Geschehnisse vor zwei Jahren, die ich immer verdrängt, aber nie vergessen hatte, als ich unter Wasser die anderen Sirenen hatte hören können.
    Der Himmel wurde schwärzer, und die Wolken zogen sich immer tiefer über dem See zusammen. Mein Körper bewegte sich wie zuvor aus eigenem Antrieb, und ohne nachzudenken, rutschte ich von der schmalen Sitzbank, sank auf die Knie und beugte mich aus dem Boot. Ich hielt mich mit den Händen an der Bootskante fest und starrte auf den See nur Zentimeter unter mir. Die Oberfläche wurde vom Regen aufgewühlt, und doch sah ich es so deutlich, als würde die Sonne am Himmel strahlen und als sei das Wasser eisglatt.
    Ich sah meine Augen. Bisher hatte ich sie immer für eine Mischung aus Grün und Blau gehalten, aber nun – vielleicht weil ich genauer hinschaute oder weil sich durch die Umstände auch meine Wahrnehmung geändert hatte – entdeckte ich den silbernen Schimmer in ihnen.
    Ich beugte mich dichter an mein verschwimmendes Spiegelbild, streckte erst eine Hand und dann die zweite aus. Meine Fingerspitzen berührten das Wasser, und ich schloss die Augen. Die Tränen liefen schneller, während das Wasser meine Fingerknöchel, meine Handflächen, meine Unterarme umspülte.
    »Tut mir leid«,

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