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Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Titel: Ocean Rose. Erwartung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tricia Rayburn
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Wunsch, aus dem Haus zu fliehen, und dem Wissen, dass sich hier die einzige Person befand, die mir sagen konnte, wie sich die Katastrophe noch aufhalten ließ.
    Ich entschied, dass ein paar zusätzliche Minuten kein allzu großes Risiko waren, und rannte an der Treppe vorbei zuBettys Zimmer. Vor der Tür hielt ich an und warf einen Blick zurück auf den Flur. Bei Paige rührte sich nichts. Erst einmal beruhigt, klopfte ich leise an Bettys Tür und trat ein.
    »Hallo?«, flüsterte ich und schloss die Tür hinter mir. »Tut mir leid, wenn ich störe, aber –«
    Ich blieb wie angewurzelt stehen, als ich den leeren Sessel sah. Der Kamin, in dem bisher immer ein helles Feuer gebrannt hatte, war unbenutzt. Die Vorhänge waren dicht zugezogen, genau wie im Wohnzimmer und bei Paige.
    Es war so dunkel, dass ich Betty fast übersehen hätte. Sie ruhte in ihrem Bett am anderen Ende des Raumes. Ihr zierlicher, zerbrechlicher Körper lag ganz still. Entweder hatte sie mich trotz ihrer überscharfen Sinne nicht gehört oder war zu schwach, um zu reagieren.
    »Betty?«, flüsterte ich und ging auf sie zu.
    Sie sah aus, als sei sie in einigen Tagen um Jahre gealtert. Ihr kräftiges graues Haar war dünn geworden, und ausgefallene Strähnen bedeckten das Kopfkissen. Die Falten in ihrem Gesicht hatten sich vertieft, die Haut war bräunlich grau vertrocknet und schuppte sich, so dass die Decke und der rote Morgenmantel wie von weißem Konfetti bedeckt schienen. Ihre Brust hob sich in großen Abständen, wenn sie um Atem kämpfte. Ohne diese kaum merkliche Bewegung hätte ich sie für tot gehalten.
    Ich sank auf den Sessel, der neben das Bett gerückt stand. Dabei landete ich auf etwas Hartem. Die Person, die als Letztes hier gesessen hatte, wollte Betty vermutlich von den Schmerzen ablenken, indem sie ihr etwas vorlas. Oder der Sinn war gewesen, Betty noch mehr zu quälen.
    Obenauf lagen ein gutes Dutzend Ausgaben des Winter Harbor Herald, sowohl neuere mit den Artikeln über Paul Carsons, Charles Spinnaker und die anderen Opfer als auch ältere bis zurück ins Jahr 1985. Einige erkannte ich wieder,weil Simon und ich sie in der Bibliothek durchgeblättert hatten.
    Unter den Zeitungen lag ein Buch … ein Scrapbook. Es sah ähnlich aus wie Zaras, war aber dicker und offensichtlich einige Jahre älter, denn der Stoffeinband hatte die Farbe verloren, und die zarte Spitzenverzierung war gelblich angelaufen.
    Ich legte es mir auf den Schoß und warf einen Blick zur Tür. Da sich nichts rührte, schlug ich Rainas Scrapbook auf und las. Es war in Kapitel unterteilt, und jedes beschrieb das Leben und die Taten einer anderen Sirene. Ihr Netzwerk erstreckte sich weit über die Familie Marchand und den Wohnsitz in Winter Harbor hinaus. Beim Blättern sah ich Generationen von Frauen, alle wunderschön und alle mit den gleichen silberblauen Augen, die in den alten Schwarzweißfotos genauso überirdisch zu strahlen schienen wie in den neueren Farbaufnahmen. Es gab alte und junge Sirenen, ein abgebildetes Mädchen war bestimmt kaum älter als Paige. Souvenirs wie bei Zara fand ich nicht, sondern alles war mit Hilfe von Fotos und Zeitungssausschnitten dokumentiert. Vieles davon stammte aus anderen Küstenstädtchen in Maine, doch die Ortsnamen reichten bis nach Kanada.
    Ich hätte Stunden so sitzen können, riss mich aber zusammen und blätterte schneller. Gerade hatte ich ein ganzes Bündel Seiten auf einmal genommen, um mehrere Jahre nach vorn zu springen, als graue Finger nach dem Scrapbook griffen.
    Ich starrte Bettys Hand an. Hautschuppen rieselten auf die Seiten.
    Eine Wolke ranzig salziger Luft blies mir ins Gesicht, und ich schaute auf. Betty hatte mir den Kopf zugewandt. Ihre Augen waren nur schmale Schlitze, und das Licht in den wolkigen Pupillen war fast erloschen.
    »Was ist, Betty?«, fragte ich leise. »Was kann ich tun?«
    Sie öffnete die spröden Lippen, um zu sprechen, aber es kam kein Laut heraus, nur ein weiterer erstickender Lufthauch. Dem Geruch nach befand sich ihr Körper innen in einem ähnlichen Zustand wie außen.
    › … sie erklärte mir, dass sie nicht deshalb so viel Zeit im Meer verbrachte, weil es ihr gefiel, sondern weil sie das Schwimmen im Salzwasser brauchte .‹
    Ich holte scharf Atem, als mir Olivers Worte durch den Kopf hallten.
    ›. sie sei körperlich davon abhängig, sich mehrmals am Tag ins Salzwasser zu begeben, anderenfalls könnte sie nicht atmen .‹
    Ich starrte Betty an, ihre ausgetrocknete Haut

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