Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
auf den Rückweg über den Strand machten, versuchte ich, das klagende Sirenengeheul zu überhören, das leise in der Ferne erklang.
Zwanzig Minuten später saßen wir in Simons Kombi und fuhren mit heruntergekurbelten Fenstern und aufgedrehter Heizung in Richtung Winter Harbor. Ich starrte auf die vorbeihuschenden Bäume, ohne sie eigentlich zu sehen, und fragte mich, was ich hier tat. Und warum ich den armen Simon in die Sache hineingezogen hatte.
Justine war weg. Tot. Angespült wie ein Fisch. Was für einen Unterschied machten schon das Wie und das Warum oder die Frage, was vor dem Unfall wirklich geschehen war? Am Ende war nur eins sicher, nämlich dass sie nicht mehr zurückkehren würde. So schwer es mir auch fiel, diese Tatsache zu akzeptieren, blieb es doch die einzig verlässliche Wahrheit. Sich damit abzufinden musste einfacher sein, als eine Vergangenheit auszugraben, die Justine vor mir hatte geheim halten wollen. Und wenn ich erst gelernt hatte, dieTatsachen zu akzeptieren, konnte endlich wieder alles normal werden. Zwar nicht auf die gleiche Weise normal wie vorher, aber dafür auf eine neue.
»Simon«, begann ich seufzend, um mich zu entschuldigen und ihm von meiner Schlussfolgerung zu erzählen. Ich wandte mich zu ihm um und fühlte mich schon im Voraus niedergeschlagen, wenn ich an meine einsame Rückfahrt nach Boston und den langen Sommer ohne ihn dachte.
Aber er hörte mich nicht. Stattdessen starrte er geradeaus durch die Windschutzscheibe, hatte die Augen weit aufgerissen und die Lippen zusammengepresst.
Ich folgte seinem Blick, als der Wagen langsamer wurde und ausrollte.
Auf der Straße standen drei Polizeifahrzeuge, die Feuerwehr und ein Krankenwagen. Sie waren von einem Kreis aus Warnleuchten umgeben, die grell wie Angelköder blinkten. Zwischen den umgebenden Bäumen warfen flackernde Taschenlampen ein seltsames rotes Licht. Rettungspersonal schwärmte umher, wohl ein gutes Dutzend Menschen … Polizisten sprachen in ihre Funkgeräte, Feuerwehrleute arbeiteten sich mit Äxten durch den Wald, und Sanitäter bereiteten einen Krankentransport vor.
Zwei weitere Männer in Sanitäterkleidung tauchten zwischen den Bäumen auf. Sie schleppten eine zugedeckte Trageliege. Als sie die Liege hochhoben, um sie in den Krankenwagen zu schieben, fiel eine graue leblose Hand unter dem weißen Laken hervor.
Das Muster aus gelblichen und dunkelroten Flecken war auch noch in fünfzig Meter Entfernung zu erkennen.
Ich wandte mich schnell ab und konzentrierte mich auf das rotglühende Licht, das den Wald erleuchtete, und auf die Feuerwehrleute mit ihren Äxten. Kurz darauf versammeltesich das ganze Rettungspersonal auf der Straße, und ich hatte einen klaren Blick durch die Bäume.
»Simon«, flüsterte ich, als sich alle meine Pläne, Winter Harbor zu verlassen und nach Boston zurückzufahren, mit einem Schlag verflüchtigten. »Sie haben einen Pfad durch den Wald geschlagen. Er führt direkt zum Strand.«
K APITEL 8
D as Kleid ist traumhaft, Vanessa. Wirklich traumhaft. Und wenn du es dieses Wochenende trägst, wirst du genauso traumhaft aussehen.«
»Danke für das Kompliment«, sagte ich, betrachtete den Regen, der die Windschutzscheibe herunterlief, und wünschte, ich hätte das Handyklingeln ignoriert. »Aber bestimmt kann ich auch an jedem anderen Wochenende traumhaft darin aussehen.«
»Auf jeden Fall! Du weißt doch, dass ich dir nicht so ein frühlingshaftes, nur einmal tragbares Kleidchen im Brautjungfernstil kaufen würde. Man kann es auf jeden Fall bis in den Spätsommer tragen. Vielleicht sogar noch am Columbus Day, falls das Wetter sich hält.«
Falls das Wetter sich hält.
»Klingt super, Mom. Ist Dad zufällig zu sprechen?«
»Ja, aber wir beide sind noch nicht fertig. Also sieh zu, dass er mir den Hörer wiedergibt, bevor du auflegst.«
Während sie Dad eine entsprechende Anweisung gab, beugte ich mich vor, um den Himmel zu betrachten. Paige und ich saßen im Auto vor ihrem Haus und warteten auf eine Regenpause, um durch den Garten hineinstürzen zu können. Aber den dicken Wolken nach zu urteilen, würde das noch eine Weile dauern.
»Big Papa«, sagte ich, als Mom ihm den Hörer ausgehändigt hatte. »Du musst mir einen Gefallen tun.«
»Was immer du willst, Kleines.«
»Ich habe Mom erklärt, dass ich dieses Wochenende nicht nach Hause komme, aber sie scheint niemanden zu hören als sich selbst. Und ich kann wirklich nicht kommen.« In Gedanken sah ich die gestrige
Weitere Kostenlose Bücher