Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
mich gefreut, dich kennenzulernen, Vanessa«, rief Raina uns nach, wobei ihre Stimme bestenfalls gleichgültig klang.
»Siehst du?«, meinte Paige, als wir das Wohnzimmer hinter uns gelassen hatten und eine enge Treppe hinaufgingen. »Ich wäre heilfroh, wenn das größte Problem mit meiner Mutter daraus bestehen würde, dass sie mir ein Kleid gekauft hat, das ich nicht tragen will, um damit zu einer Party zu gehen, auf die ich keine Lust habe.«
»Nennst du sie deshalb beim Vornamen?«, fragte ich. »Weil sie keine typische, liebevolle Kuschelmutter ist?«
»Deshalb … und weil sie es so will. Raina sagt, sie fühlt sich nicht alt genug, um zwei Teenagertöchter zu haben.« Sie hatte den Treppenabsatz erreicht und wandte sich mir zu. »Was ich dich überhaupt fragen wollte: Wieso sind deine Eltern nicht hier? Du hast gesagt, deine Mom möchte dich lieber zu Hause haben?«
»Stimmt.« Ich fixierte einen Wandleuchter. »Meine Mutter ist ein Workaholic, und mein Dad ist ein Mamaholic,also sind sie für ein paar Tage zurück nach Boston gefahren.«
»Cool«, meinte Paige und ging den Flur entlang. »Für ein bisschen Privatsphäre ab und zu könnte ich glatt töten. Hast du Lust zu tauschen?«
Ich lachte, aber das Absurde war, dass ich tatsächlich nicht abgeneigt gewesen wäre, selbst wenn der Tausch Zara enthielt.
Ich folgte Paige durch den langen Korridor, der von zwei kleinen Kronleuchtern erhellt wurde. »Bist du sicher, dass ich nicht unten warten soll?«, fragte ich, als wir vor einer geschlossenen Tür stehen blieben. »Ich glaube, deine Schwester mag mich nicht besonders.«
»Z mag niemanden besonders.« Sie warf mir ein beruhigendes Lächeln zu und hämmerte dann mit der Faust an die Tür. »Du solltest hören, wie sie über Jonathan redet.«
Bevor ich fragen konnte, wer Jonathan war, klopfte sie erneut. Ich musste eine Hand gegen meine Stirn pressen, als auf der anderen Seite der Tür die Musik lauter aufgedreht wurde. Es klang wie Jazz, aber mit viel Schlagzeug und einem schnellen, pulsierenden Rhythmus.
»Ich gehe nicht weg, Z«, schrie Paige. Sie begann wieder zu hämmern, und der Schmerz zwischen meinen Ohren pochte jedes Mal, wenn ihre Faust auf das Holz traf.
Jetzt begann sie, im Takt der Musik zu klopfen und dabei rhythmisch mit dem Kopf zu nicken. Das setzte sie mindestens eine Minute lang fort. Ich stellte mich vor ein großes Fenster und massierte mir die Schläfen, während ich dem Regen zuschaute, der wie ein dicker grauer Vorhang tief unten aufs Meer fiel. In meinem Kopf drehte sich alles, und da ich fürchtete, jeden Moment ohnmächtig zu werden, wollte ich mich schon bei Paige entschuldigen und doch im Wagen warten.
Ich war kurz davor, ihr auf die Schulter zu tippen, als die Jazzmusik aufhörte und die Tür aufgerissen wurde. Als Zara mich sah, blitzte in ihren Augen erst Überraschung auf, dann Verwunderung und zuletzt Wut.
»Du fühlst dich also nicht gut, was?«, fragte Paige.
Die sarkastische Frage war berechtigt. Ich hatte Zara bisher nur im Restaurant gesehen, wo sie kurze Khakihosen, ein schwarzes T-Shirt und eine Kellnerinnenschürze getragen hatte. Diese Arbeitsuniform besaß wenig Ähnlichkeit mit ihrem jetzigen Outfit: einem engen schwarzen Rock, der gute fünfzehn Zentimeter kürzer war als besagte Khakihose, dazu ein passendes schwarzes schulterloses Top und glitzernde Stilettosandalen. Ihre Haare, die ich bisher nur in Form eines langen Pferdeschwanzes kannte, hingen ihr glatt und perfekt über den Rücken, und ihr Make-up ließ die silbrigen Augen glitzern wie Weihnachtsornamente.
»Falls du an Atemproblemen leidest, solltest du vielleicht dein Oberteil erweitern lassen«, schlug Paige vor und musterte Zaras überquellendes Top.
»Und falls du überhaupt noch weiteratmen willst, solltest du deine kleine Freundin wegschicken.« Ihre Stimme klang ganz ruhig.
Paige nickte. »Alles klar.« Sie schaute mich an. »Wir treffen uns unten, okay?«
Ich war dankbar für diese Fluchtgelegenheit und verschwand den Korridor entlang, ehe Paige auch nur die Tür hinter sich geschlossen hatte. Hoffentlich brachten die beiden es schnell hinter sich. Was für Probleme sie auch immer haben mochten, ich wollte jetzt vor allem rechtzeitig wegkommen, damit die kurvigen Straßen nach Winter Harbor nicht völlig überflutet waren.
Vanessa …
Ich beschleunigte meine Schritte.
Meine liebe, süße Nessa …
Wieder einmal schien Justines Stimme nicht nur in meinem Kopf zu hallen,
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