Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
Sommerwetters?«, fragte ich. »Ein neues Beispiel dafür, wie der Klimawandel den Planeten aus dem Gleichgewicht bringt?«
»Ich wünschte, es wäre so einfach. Der Punkt ist, dass diese Stürme zwar enorm heftig sind, sich aber auf ein ganz bestimmtes geographisches Gebiet beschränken. Die Küste des Nordwestpazifiks liegt auf denselben Breitengraden wie wir, und trotzdem sind die Wetterbedingungen um Oregon herum völlig normal, wenn man sie mit anderen Sommern vergleicht.« Er schaute mich an. »Weißt du nicht mehr, wie verrückt sich die Wellen benommen haben, als wir Mark und seinen Surferfreunden zugeschaut haben? Und wie schnell die Flut gekommen ist?«
Ich nickte.
»Wenn man mich fragt, hängt das alles zusammen – die überaktiven Meeresströmungen und die Sturmfronten. Ich weiß nicht, warum und wieso, aber genau das versuche ich herauszufinden. Dafür bin ich schon die ganze Küste von Maine rauf- und runtergefahren, habe die Tidestände notiert, den Meersalzgehalt, die pH-Werte, die stündlichen Wetterdaten – jedes Puzzlestück, das mir vielleicht eine Erklärungliefert, warum diese Phänomene an bestimmten Orten und Zeitpunkten auftreten und an anderen nicht.«
»Das ist ein Riesenprojekt für eine Person allein.«
Er schaute zu Boden. »Aber ich bin ja nicht allein. Nicht mehr.«
Meine Wangen begannen zu glühen, als sei die Sommersonne plötzlich durch die Wolken gebrochen.
»Außerdem muss ich es einfach tun. Ich habe keine Wahl.« Er zögerte, und als er weitersprach, klang seine Stimme weicher und leiser. »Wenn dieser Sommer so wäre wie alle anderen, dann würde Justine noch leben. Wäre alles normal, dann hätte Caleb nicht fortlaufen müssen.«
Kein Zweifel, dieser Sommer hatte keine Ähnlichkeit mit den anderen zuvor. Und während die Holzwände vom Sturm bebten und der Regen immer lauter auf uns niederprasselte, begann ich zu glauben, dass Simon recht haben könnte.
»Hörst du das?«, fragte er einen Moment später.
Ich hielt den Atem an und lauschte. Draußen schienen der Wind und der Regen kurz aufzuhören, und alles wurde ruhig.
Dann tobte der Sturm mit neuer Wut los, pfiff durch die Wände, rüttelte an den Resten der Tür, und es wurde so kalt, als seien die Temperaturen draußen mit einem Mal um zwanzig Grad gefallen.
Der Regen setzte ein paar Sekunden später wieder ein. Zuerst hörte ich es kaum, so laut hämmerte mein Herz, aber bald prasselte er immer brutaler nieder und brachte das Dach zum Erbeben, als würde eine Herde Elche darübergaloppieren. Schließlich war der Lärm des Gewittersturms so ohrenbetäubend, dass ich jeden Moment erwartete, er würde die Kirche aus ihrer Verankerung reißen und sie mit uns beiden in den Himmel schleudern.
»Ist das Hagel?«, rief ich, als Simon meine Hand nahm und mich von der Türöffnung wegführte.
Er gab keine Antwort. In der hinteren linken Ecke des Raums ließ er sich zu Boden fallen und zog mich mit sich. Die Luft wurde so kalt, dass ich meinen Atem sehen konnte. Simon schlüpfte aus seiner Fleecejacke, wickelte mich darin ein und hielt mich an sich gedrückt. Er beschützte mich, wie es ein liebevoller großer Bruder in der gleichen Situation getan hätte … aber ich fühlte mich nicht als seine kleine Schwester. Stattdessen dachte ich, dass er sein Gesicht nur einen Zentimeter näher zu bringen brauchte, damit sich versehentlich unsere Lippen berührten, und dass ich dann vermutlich nicht einmal merken würde, ob die Kirche mit uns davonflog.
»Ich glaube, wir haben das Schlimmste überstanden«, flüsterte er ein paar Minuten später.
Ich öffnete die Augen und hob den Kopf von seiner Brust. Die Kirche stand noch. Durch die zerfallene Tür sah ich, dass das Wasser nur von den Bäumen tropfte anstatt vom Himmel. Die Luft wurde wärmer und heller, als die Sonne durch die abziehenden Wolken schien.
»Bist du in Ordnung?«
»Ich weiß nicht genau«, sagte ich ehrlich, denn wir hatten gerade einen heftigen Überraschungsangriff von Mutter Natur überstanden, wir mussten noch immer Caleb finden … und trotzdem konnte ich an nichts anderes denken, als dass ich mich nicht aus Simons Armen bewegen wollte.
»Ist dir kalt? Bist du verletzt? Ist irgendwas auf dich gefallen?«
»Nein.« Ich zwang mich dazu, mich von ihm zu lösen und aufzustehen. »Das Ganze hat mich bloß ein bisschen mitgenommen.«
»Okay.« Simon erhob sich ebenfalls. »Immerhin gab eseinen Silberstreif an diesem enorm wolkigen Horizont: Falls
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