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Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Titel: Ocean Rose. Erwartung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tricia Rayburn
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auf und ging zu dem schmalen Kellerfenster, das sich weit oben an der gegenüberliegenden Wand befand. »Caleb?«
    Ich hatte mich wieder Max Hawkins’ Nachruf zugewandt, aber nun blickte ich hoch.
    »Caleb, wenn du das bist … leg nicht auf. Ich kümmere mich um einen besseren Empfang.« Er deutete auffordernd nach oben, damit ich ihm folgte, und verschwand die Treppe hinauf.
    Selten hatte ich mir mehr gewünscht, aus einem dunklen Keller herauszukommen. Ich klappte die Aktenordner zu, schnappte mir Simons Rucksack und rannte los. Erst als ich bereits die halbe Bücherei durchquert hatte, bemerkte ich die Bibliothekarin am Empfangstresen und verlangsamte meinen Sprint zu einem Gehschritt.
    »Tut mir leid«, sagte sie gerade zu einem Mann, »aber Sie haben bereits fünf Bücher ausgeliehen. Sobald Sie sie zurückbringen, können Sie sich neue mitnehmen.«
    »Aber … Sie verstehen nicht … ich brauche diese Bücher. Genau wie die fünf, die ich bereits habe.«
    »Tut mir wirklich leid. Aber Sie kennen die Regeln, Oliver.«
    Wie angewurzelt blieb ich stehen. Ich hatte seine Stimme nicht erkannt, weil ich sie nie gehört hatte – in Bettys Fischerhaus sprach Oliver grundsätzlich kein Wort. Jeder ging davon aus, dass er sturköpfig und vom Alter schwerhörig war. Aber nun schien er die Bibliothekarin perfekt zu verstehen.
    Durch die Eingangstür sah ich Simon auf dem Parkplatz stehen und immer noch ins Handy sprechen. Bestimmt konnte es nicht schaden, ihn eine Weile allein mit seinem Bruder reden zu lassen. Also huschte ich zwischen zwei hohe Regalwände und eilte in dem Gang nach vorn. Als ich am anderen Ende angekommen war, befand sich Oliver nur ein paar Meter entfernt. Ich spähte zwischen den Büchern hindurch und stellte fest, dass er sein Hörgerät gar nicht trug.
    »Natürlich kenne ich die Regeln«, sagte er. »Schließlich haben sie sich in den siebzig Jahren, die ich hier lebe, nicht verändert. Aber ich hatte gehofft, Sie würden eine Ausnahme für mich machen.«
    »Das letzte Mal, als ich das gemacht habe, sind Ihnen drei Bücher verlorengegangen, und den Rest haben Sie mit einem halben Jahr Verspätung zurückgebracht. Außerdem will ich gar nicht erst anfangen, die Regeln zu brechen, denn sonst müsste ich das für alle anderen auch tun.«
    Ich duckte mich, als Oliver sich demonstrativ in beide Richtungen umschaute. »Mary, ich möchte Sie ja nichtkränken«, sagte er und drehte sich wieder zur Bibliothekarin um, »aber wie an fast allen Tagen bin ich auch heute der einzige Kunde. Also würde vermutlich niemand davon erfahren.«
    »Oliver, bitte. Die Regeln sind nun einmal die Re–«
    »Merken Sie nicht, was in Winter Harbor passiert?«, fragte er scharf.
    Ich riss die Augen auf, und Mary ließ den Mund zuklappen.
    »Die Naturgewalten erheben sich.« Oliver stützte beide Hände auf den Tresen und beugte sich zu der Bibliothekarin vor. »Menschen sterben. Bei den übrigen bricht Panik aus. Niemand weiß, was vor sich geht – weder die Polizei noch die Journalisten und am wenigsten die Meteorologen. Aber keiner von ihnen sucht die Antworten an der richtigen Stelle.«
    Marys Gesichtsausdruck wirkte erst verärgert, dann nervös und schließlich mitleidig, als Oliver seine zittrige Hand besitzergreifend auf den Bücherstapel zwischen ihnen legte.
    »Die Geschichte wiederholt sich«, erklärte er. »Um herauszufinden, was hier und jetzt geschieht, muss man erforschen, was in der Vergangenheit geschehen ist. Und wann haben Sie unseren Polizeidirektor das letzte Mal in der Bibliothek gesehen?«
    »Oliver«, sagte Mary sanft. »Die zuständigen Stellen tun alles, was sie können. Es ist sehr nett von Ihnen, wenn Sie ihnen helfen wollen –«
    »Nein, nicht nett«, schnitt er ihr das Wort ab. »Überlebenswichtig. Und Sie sind dabei keine Hilfe.«
    Ich schüttelte den Kopf. Mary war ein geduldiger Mensch, aber jetzt war Oliver zu weit gegangen.
    »Bringen Sie die anderen fünf Bücher zurück«, fordertesie und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Computer zu. »Dann bin ich gerne bereit, Ihnen diese auszuleihen.«
    Er starrte sie an. Als sie ohne ein Wort weitertippte, humpelte er von dem Tresen fort, so schnell sein Gehstock es ihm erlaubte.
    Geduckt bewegte ich mich außer Sicht, damit er mich nicht entdeckte. Oliver brauchte nicht zu wissen, was ich von dem Gespräch mitbekommen hatte. Aber sein bizarrer, heftiger Ausbruch hatte mich neugierig gemacht, deshalb schaute ich ihm über eine Bücherreihe

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