Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
wurden.«
Ich hatte Dads Volvo auf dem Parkplatz abgestellt und betrachtete zwei kleine Mädchen, die mit ihrer Mutter auf einen Range Rover zueilten.
»Das habe ich in der Boston Globe gelesen, Vanessa! Bei euch sterben Leute wie die Fliegen, und ich muss erst darauf warten, dass eine Zeitung in Boston die Story bringt, um es zu erfahren? Wieso hast du mir nichts erzählt?«
Die Mädchen trugen aufeinander abgestimmte gelbe Sommerkleider und hielten Bilderbücher in den Händen. Vor zehn Jahren hätten das Justine und ich sein können. Der Gedanke drehte mir den Magen um.
»Ich hoffe, du verbringst nicht so viel Zeit mit Simon, dass du von der Welt um dich herum nichts mehr mitbekommst. Ich werde nicht zulassen, dass jetzt der nächste Carmichael eine meiner Töchter in Gefahr bringt, ist das klar?«
»Mom, mir geht es gut.« Ich schaute von den Mädchen weg und umklammerte den Türgriff. »Die Todesfälle hatten alle mit dem Meer zu tun. Und du weißt doch, dass ich nicht ins Wasser gehe.«
»Deine Schwester ist auch nicht von Klippen gesprungen, bevor sie sich mit Caleb eingelassen hat.«
»Sag mal, ist Dad da? Mit der Küchenspüle stimmt was nicht, und ich wollte ihn fragen –«
»Das letzte Mal, als ich deinem Vater das Telefon überlassen habe, hast du ihn benutzt, damit er mir Ausreden auftischt. Du kannst mit ihm sprechen, wenn wir beide fertig sind.«
Ich runzelte die Stirn. Auf der einen Seite wollte ich wirklich unbedingt mit Big Papa reden. Ich brauchte jemanden, dem ich alles erzählen und beichten konnte, dass ich noch nie in meinem Leben so viel Angst gehabt hatte wie jetzt. Big Papa war der Einzige, der mir dafür einfiel. Andererseits würde ich keine weiteren zwanzig Minuten mit Mom durchstehen. Und außerdem wartete Simon auf mich.
»Schon gut, ich muss jetzt auflegen. Ich rufe dich später zurück.« Bevor sie widersprechen konnte, drückte ich den Aus-Knopf, stellte das Handy stumm und eilte in die Stadtbücherei von Winter Harbor.
»Vanessa, es tut mir so leid«, sagte Simon, als ich das Kellerarchiv erreicht hatte.
Er stand auf und umarmte mich kurz. »Mir war nicht klar, dass ich gleich mehrere Tage wegbleiben würde. Wie geht es dir? Ist alles okay?«
»Mir geht es gut«, erwiderte ich und spürte meine Arme von seiner Berührung kribbeln, obwohl er mich schon wieder losgelassen hatte. »Oder jedenfalls besser.«
Er schaute zu Boden, und ich erhaschte einen flüchtigen Gesichtsausdruck, den ich in dem dämmrigen Kellerlicht nicht deuten konnte.
»Wie bist du mit deinen Recherchen vorangekommen?«, erkundigte ich mich. »Hast du Antworten gefunden?«
»Ja, das habe ich tatsächlich.« Er zog mir einen Metallklappstuhl heran, bevor er sich selbst wieder setzte. »Wie viele Unwetter gab es hier, während ich weg war?«
»Vier.« Darüber musste ich nicht lange nachdenken. Inzwischen hatten wir mindestens einmal pro Tag einen Sturm, der die Sonne verfinsterte.
»Und weißt du, wie viele Unwetter es in Ashville gab? Oder in Gouldsboro und Corea?«
»Vier?«, riet ich.
Er schaute mich an. »Kein einziges.«
»Aber diese Orte sind gleich in der Nachbarschaft.«
»Überall in einem Umkreis von hundert Meilen war es durchgehend sonnig bei einer konstanten Tagestemperatur von ungefähr einundzwanzig Grad.«
Mein Blick wanderte über unzählige Temperatur- und Wettertabellen in dem Notizheft, das er mir entgegenhielt. »Ich kapiere das nicht. Zwar ziehen die Gewitter meistens schnell wieder ab, aber sie sind riesig. Wie ist es möglich, dass sie nirgendwo sonst auftauchen?«
»Keine Ahnung.« Er klappte das Heft zu. »Ich weiß nur, dass die Stürme regelmäßig über Winter Harbor auftauchen und verschwinden – und dass kein anderer Ort betroffen ist.«
»Aber sollte das nicht, na ja, wissenschaftlich unmöglich sein?«
»Unmöglich zwar nicht, jedoch extrem unwahrscheinlich. Und leider ist das Wetter nicht das einzige Rätsel, mit dem wir uns herumschlagen müssen.« Er zog einen dicken schwarzen Aktenordner zu sich heran, schlug ihn auf und begann, darin zu blättern. »Ich wollte das damals nicht erwähnen, weil ich fand, für einen Tag hatten wir schon genug durchgemacht, aber an der Küste bei Camp Heroine haben die Cops von ›den vielen anderen‹ geredet.«
Ich runzelte die Stirn. Simon hatte in Camp Heroine darauf bestanden, dass ich im Kombi sitzen blieb und nicht an den Fundort zurückkehrte, während er die Polizei zum Strand führte. Das hieß, er hatte sich
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