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Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Titel: Ocean Rose. Erwartung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tricia Rayburn
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etwas essen.«
    Ich blinzelte. Die flackernden Lichter waren verschwunden und wurden von einer Reihe grüner Kaffeebecher ersetzt. Neben mir lehnte ein Mann im grauen Anzug am Küchentresen und schaufelte sich Schmalzgebäck in den Mund.
    »Eine gute Mahlzeit ist die beste Medizin«, meinte er.
    Medizin. Als hätte ich eine Krankheit. Als sei alles nur eine Halluzination, die der Realität Platz machen würde, sobald mein Fieber sank.
    »Danke«, sagte ich und versuchte, die Bilder von dem Unglück abzuschütteln, das ich im Schlaf ständig von Neuemerlebte, seit die Polizei uns mitgeteilt hatte, dass Justine gefunden worden war. Ich griff nach einem Becher und drehte mich zur Kaffeemaschine um.
    Es war nicht seine Schuld. Schließlich war er nur einer von Moms Mitarbeitern. Er kannte weder mich, noch hatte er Justine gekannt, aber er fühlte sich verpflichtet, ein paar Worte zu sagen, während er zusammen mit anderen Kollegen italienisches Ricottagebäck genoss. Was sonst hätte ihm schon einfallen sollen? »Eine echte Tragödie!« »Sie hatte doch noch ihr ganzes Leben vor sich.« »Wie haben eigentlich die Red Sox diese Saison abgeschnitten?«
    »Eine einsame Stimme in der Wildnis«, sagte ich, als ich beim Umdrehen feststellte, dass er immer noch da war. Nicht die richtigen Worte zu finden war eine Sache. Weiter rumzustehen und auf einen Nachschlag Kaffee zu warten ging dann doch zu weit.
    »Wie bitte?«, fragte er.
    Ich hielt den Becher in die Höhe. »Vox clamantis in deserto. Der Slogan von Dartmouth. Irgendwie passend, finden Sie nicht?«
    »Vanessa, Schatz, hilfst du mir bitte mal mit den Muffins?« Mom fasste mich am Ellbogen und führte mich ans andere Ende der Küche. »Liebling, ich weiß, wie schwer das für dich ist, aber wir haben Gäste. Deshalb wäre ich dankbar, wenn du dich wie eine höfliche Gastgeberin benehmen könntest.«
    »Tut mir leid«, sagte ich, als wir an dem Küchentisch voller Kuchen stehen blieben. »Ich weiß bloß nicht, was ich reden soll. Ein Teil von mir möchte sich den Rest des Tages im Bad einschließen, und ein anderer Teil –«
    »Hast du schon was gegessen?«, erkundigte sie sich und pikte in einen Muffin. »Hier ist einer mit Honignüssen.«
    Ich nahm ihn entgegen. Mir fiel nichts ein, was ich sagenkonnte. Mom hatte fünf Tage lang geweint – von dem Moment an, als die Polizei an unsere Tür geklopft hatte, bis zu dem Augenblick, als wir bei unserem Stadthaus angekommen waren –, und dann hatte sie auf effektive Partyplanerin umgeschaltet. Selbst beim Begräbnis hatte sie keine Träne vergossen, obwohl die lautstarke Trauer von Justines Freunden und Klassenkameraden gereicht hatte, um die Vögel von den Bäumen fliegen zu lassen und der Priester das Gebet eher hatte schreien müssen. Ich selbst hatte beim Begräbnis auch nicht geweint, ebenso wenig wie in den Tagen davor oder danach, aber meine Gründe waren andere.
    »Kannst du bitte nach deinem Vater schauen?« Mom hob ein Blech vom Küchentresen. »Ich habe ihn seit einer Stunde nicht mehr gesehen, und die Gäste fangen schon an zu reden.«
    Ich setzte an zu sagen: Wenn unsere Gäste nicht verstehen, dass Big Papa eine kurze Auszeit braucht, dann sollten sie sich vielleicht eine andere Party suchen. Aber bevor ich den Mund aufmachen konnte, hatte Mom bereits auf einem hohen Absatz kehrtgemacht und war durch die Küchentür verschwunden.
    Ich ließ den Muffin in den Mülleimer fallen und ging zurück zur Kaffeemaschine, wobei ich den Blick gesenkt hielt, um weitere hilfreiche Tipps von irgendwelchen Mitarbeitern zu vermeiden. Die Becher mit dem Dartmouth-Logo füllten noch immer das untere Regal. Dort hatte Mom sie sofort zur Schau gestellt, als vor zwei Wochen das Paket mit dem Merchandising-Krimskrams vom College angekommen war.
    »Vox clamantis in deserto«, hatte Justine mir laut vorgelesen. »Ist schon toll, wie diese Privatschulen ihre Begeisterung für tote Sprachen herauskehren. Ich meine, warum der Aufwand? Könnten sie nicht einfach schreiben: ›VielenDank für die zusätzlichen fünfzehn Dollar, die Sie uns in den Rachen werfen, um allen zu beweisen, wie wichtig Sie sind und dass Sie zweihunderttausend Dollar Schulgebühren zahlen können, nur damit Ihre reichen Sprösslinge die Chance bekommen, sich mit anderen verwöhnten Gören irgendwo im Nirgendwo zu besaufen‹?«
    »Na ja«, hatte ich gesagt, »das würde vermutlich nicht als Spruch auf einen Schlüsselanhänger passen.« Von denen hatte Mom

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