Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)
vergessen das edelste Zuchtvieh von Adroscoggin County.«
Ich schaute Simon an. »Spricht er von Kühen?«
»Na ja, ursprünglich war es mal ein Bauernmarkt und Erntedankfest«, erklärte er. »Wird hier jedes Jahr gefeiert.«
Vor uns sagte Riley etwas, was Paige zum Lachen brachte, und sie stieß ihn mit der Schulter an.
»Er weiß nichts darüber, was im Sommer passiert ist, oder?«, fragte ich mit gesenkter Stimme.
Simon schüttelte den Kopf. »Natürlich hat er die Nachrichtenbilder im Fernsehen gesehen – wie so ziemlich jeder in den USA –, aber er hat keine Ahnung, dass wir in das Ganze verwickelt waren. Riley hält sie für deine langjährige Urlaubsfreundin, die extra nach Boston gezogen ist, um wegen Justine für dich da zu sein.«
»Gut. So kann sie selbst bestimmen, ob und wann sie ihm mehr erzählen möchte.«
Er hob unsere ineinander verschränkten Hände an die Lippen, um meine Finger zu küssen. »Ich bin froh, dass du hier bist«, sagte er, als sein Mund flüchtig meine Haut streifte.
Ich zögerte, dann küsste ich ihn auf die Wange. »Ja, geht mir auch so.«
Der Herbsttag war angenehm warm, und der Campus war voller Studenten. Manche lernten fleißig, andere lagen in der Sonne, gingen gerade zum Festival oder kamen von dort zurück. Beim Schlendern hörte ich den Gesprächen und dem Gelächter zu und dachte, wie glücklich und normal alle klangen. Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich irgendwann selbst meine Zeit als Studentin an einem Campus verbringen würde, aber es wollte nicht klappen.
»Also, was meinst du?«, fragte Riley gerade, als wir ihn und Paige am Eingang zum Festplatz einholten. »Zuerst zur Vogelscheuchen-Talentshow? Zum Traktorrennen? Oder wir stürzen uns gleich auf die Karamelläpfel und das Kürbisbier.«
»Ich hätte Lust, mit dem Heuwagen zu fahren«, sagte ich, als ich ein Pferdefuhrwerk auf der anderen Seite des Platzes erspähte. »Wenn ihr nichts dagegen habt?«
Niemand erhob Einwände, und so bummelten wir in diese Richtung, gaben unterwegs unsere Stimme für die beste Kürbisschnitzerei ab, schauten beim Brauen von Cidre zu und probierten verschiedene Sorten einheimischen Ahornsirup. Als wir uns schließlich an der Schlange für den Heuwagen anstellten, dauerte es eine halbe Stunde, bis wir an die Reihe kamen. Der Wagen direkt vor uns war eigentlich so voll, dass wir noch eine weitere Runde hätten warten müssen.
»Und ob wir da raufpassen!«, behauptete Riley und musterte das bisschen freien Platz auf den Heuballen. »Wir müssen uns eben stapeln.«
»Du meinst, du hast nichts dagegen, wenn ich dich auf den Schoß nehme?«, fragte Paige grinsend.
»Ich wäre tatsächlich bereit, dieses schwere Opfer zu bringen.«
Paige lachte, und Simon schaute mich fragend an.
»Mir soll es recht sein«, erwiderte ich.
Auf einer kurzen Leiter kletterten wir an dem Wagen hoch und stiegen über die Rückseite aus Holzplanken ein. Riley folgte Paige, die sich vorsichtig einen Weg durch Füße, Beine und Heuballen bahnte. Als sie vorn einen schmalen Platz in der Nähe des Kutschers und des Pferdegespanns gefunden hatte, setzte er sich wie angekündigt auf ihren Schoß. Simon quetsche sich in die hintere linke Ecke des Wagens und zog mich sanft auf seine Knie.
»Gefällt mir, wie ihr hier Erntedank feiert«, sagte ich, als er die Arme um mich legte.
Auf dem Heuwagen saßen gut dreißig Leute zusammengequetscht, und das gelegentliche Aufkreischen und laute Gelächter verrieten, dass viele von ihnen sich mit mindestens einem Kürbiscocktail für die Fahrt gestärkt hatten. Aber hier in der Ecke mit Simon war es so romantisch, als wären wir ganz allein unterwegs.
»Wie war der Laborunterricht?«, fragte ich, als sich der Wagen in Bewegung setzte. Da wir uns so oft gesimst hatten, kannte ich seinen Stundenplan inzwischen auswendig.
»Endlos. Langweilig. Und total anstrengend für die Augen.«
»Dabei dachte ich, du hast ein Herz für die Gemeine Fruchtfliege, den besten Freund jedes Forschers.«
»Stimmt – aber nicht, wenn ich VIP-Besuch erwarte.«
Ich lächelte ihn an. »VIP-Besuch? Ehrlich? Wer hat sich denn bei dir angekündigt?«
»Eine junge Dame, die mich vergessen lässt, welche Protonenzahl Kohlenstoff hat, wie man Celsius in Fahrenheit umrechnet und wie die evolutionäre Klassifikation der Lebewesen lautet.«
»Reich, Stamm, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung«, zählte ich auf und klopfte ihm dabei rhythmisch mit den Fingerspitzen auf die Brust. »Sie
Weitere Kostenlose Bücher