Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)
starrten.
Die weibliche Hälfte der Anwesenden durchbohrte mich mit Blicken.
Die männliche Hälfte lächelte mich an.
K APITEL 7
I st dir kalt?«, fragte Miss Mulligan am nächsten Montagmorgen in ihrem Büro. »Soll ich das Fenster zumachen?«
»Nein, alles okay.« Ich zog mir die Kapuze meines Sweatshirts tiefer ins Gesicht. »Ich hatte nur einen kleinen Frisurunfall.«
» Amore ac studio «, zitierte sie in erwartungsvollem Tonfall. Als ich nicht reagierte, nickte sie in Richtung meines Sweatshirts und fügte hinzu: »Das Motto des Bates College. Mit Liebe zum Lernen .«
»Oh.« Ich schaute hinunter zu dem Logo auf meiner Brust. Es sah ähnlich aus wie das Wahrzeichen von Dartmouth: der schützende Schild der akademischen Bildung, auf dem ein Buch, ein Baum und ein angeberischer lateinischer Spruch prangten. »Ich wusste nicht, was es heißt.«
»Bates ist ein exzellentes College. In den Geisteswissenschaften hält es sich seit Jahren unter den besten fünfundzwanzig des Landes.«
»Der Pulli gehört meinem Freund.«
»Du kennst einen der Studenten? Phantastisch!« Sie wandte sich ihrem Computer zu. »Oft ermuntern Eltern ihre Kinder dazu, weit wegzuziehen und ihre Freundschaftsverbindungen zu kappen, damit sie nicht vom Studieren abgelenkt werden, aber das College kann Neulinge überfordern. Ich bin der Meinung, für einen reibungslosen Übergang ist es hilfreich, wenn du dort schon jemanden kennst, dem du vertraust.«
Am liebsten hätte ich gesagt, dass ich kein Interesse am Bates College hatte – erst recht nicht nach dem letzten Wochenende, als ich aus Versehen zum Mittelpunkt der gesamten Belegschaft geworden war –, aber ich war zu erschöpft, um zu protestieren.
»Unser Bates-Kontakt für die Hawthorne Highschool ist nächsten Dienstag um sieben Uhr zu sprechen«, teilte sie mit. »Passt dir der Termin?«
»Für ein Bewerbungsinterview? Vielen Dank, aber ich …«
»Was hältst du als Treffpunkt von der Kaffeebohne ? Dort gibt es die beste Latte Macchiato der Stadt.«
Widerstand war zwecklos. Miss Mulligan würde sich nur noch mehr anstrengen, mich zu überzeugen, und meine Meinung völlig überhören. Also griff ich nach meinem Rucksack und erhob mich.
Sie hörte mit dem Tippen auf und schaute hoch. »Stimmt etwas nicht?«
»Ich habe eine Literaturklausur«, sagte ich und schob mich rückwärts auf die Tür zu. »Gleich nächste Stunde. Ist mir gerade erst eingefallen.«
»Bis dahin sind es noch zwanzig Minuten. Ich brauche nur …«
»Sorry, ich muss noch schnell meine Notizen durchsehen.« Damit war ich an der Tür und griff nach der Klinke. »Aber danke für das Angebot.«
Mir war klar, dass sie mich am liebsten zurückgerufen hätte, doch sie schwieg. Genau wie sie – und alle anderen an der Schule – kein Wort über meine unvorschriftsmäßige Kleidung gesagt hatte. Normalerweise hätte ich nachsitzen müssen, wenn ich in einem zerknitterten Rock und einem Sweatshirt statt in meiner Schuluniform erschien. An diesem Morgen hatten mir Lehrer und Schulmitarbeiter zwar eine Menge seltsamer Blicke zugeworfen, aber niemand hatte mich zurechtgewiesen.
Alle fassten mich mit Samthandschuhen an. Sie wollten nicht daran schuld sein, dass ich ganz abdrehte.
Das nutzte ich jetzt hemmungslos aus. Während ich durch die Flure lief, kam ich an mehreren Lehrerinnen und Lehrern vorbei. Ich sah ihnen an, dass sie mich fragen wollten, was ich hier mitten in der Unterrichtszeit tat, doch niemand hielt mich auf. Meine Mathelehrerin Mrs Hanley stand direkt daneben, als ich den Schuleingang erreichte und durch die Tür nach draußen stürmte. Sie ließ mich ohne ein Wort gehen.
Ich rannte die Stufen hinunter und überquerte die Straße. Inzwischen hatten wir Anfang Oktober, und es war endlich kühler geworden. Die Blätter begannen sich zu verfärben. Die Passanten trugen Wollmäntel, hatten die Schultern hochgezogen und die Hände in den Taschen vergraben. Aber ich fühlte die Kälte nicht. Tatsächlich war mir so warm, dass ich am liebsten Simons Pulli ausgezogen hätte. Nur gab er mir ein Gefühl von Sicherheit, das ich im Moment dringend brauchte.
Ich lief in Richtung des Stadtparks. Da ich nie zuvor den Unterricht geschwänzt hatte, war ich nicht sicher, was ich nun mit mir anfangen sollte. Der Park kam mir wie eine gute Idee vor, weil er immer voller Leute war und eine Person mehr oder weniger nicht auffiel.
Ich setzte mich auf eine von Büschen abgeschirmte Bank, holte meine Wasserflasche
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