Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)
stärker wurde mein Bedürfnis, ihn aus seinen düsteren Gedanken zu reißen.
Mein Puls beschleunigte sich, als ich krampfhaft nach einem Gesprächsthema suchte. »Wenn man sich ein bestimmtes College wünscht, muss man sich bald bewerben.«
»Ja, das habe ich gerüchteweise gehört.«
»Und hast du einen bestimmten Wunsch?«
»Mal abgesehen davon, nach der Schule mit einem Boot durchzubrennen – einem richtigen Segelboot, keinem schwimmenden Appartement für Geschmacklose –, die ganze Ost- und Westküste entlangzufahren und an irgendwelchen Häfen anzulegen? Leute zu treffen, die weder mich noch meine Familie kennen, und mindestens ein Jahr wegzubleiben?«
Mir fehlten die Worte. »Äh, ja?«, brachte ich schließlich hervor.
»Nein, einen anderen Wunsch habe ich nicht. Aber wahrscheinlich werde ich in Princeton landen. Zwar reichen meine Zensuren nicht aus, aber dafür hat Dad die nötigen Beziehungen.«
»Ich habe gehört, das Uni-Gelände soll wunderschön sein.«
Er stieß ein kurzes Lachen aus. »Aber natürlich, Miss Mulligan.«
Meine Wangen begannen schon wieder zu glühen, und ich war froh, dass er mich in der Dunkelheit nicht genau sehen konnte.
»Was ist denn mit dir? Bist du lieber eine Bulldogge oder ein Löwe?«, spöttelte er in Anspielung auf die Maskottchen der berühmtesten Universitäten.
Ich starrte auf den glitzernden Hafen und erinnerte mich an die Lichtsäulen, die erst vor ein paar Monaten genau hier die Dunkelheit durchschnitten hatten. »Nichts davon«, antwortete ich.
»Aha, lieber ein schickes Künstler-College. Die Geisteswissenschaften mögen ja intellektuell stimulierend sein, haben aber keinen Platz im wirklichen Leben.« Nach seiner leiernden Stimme zu urteilen, zitierte er einen oft gehörten Satz. »Also das Williams College? Oder Amherst? Vielleicht wirst du auch Matt Harrison seinen Traum erfüllen und dich bei ihm fürs Bates College bewerben?«
»Ich werde überhaupt nicht aufs College gehen.« Zum ersten Mal sprach ich laut aus, was ich bisher kaum zu denken gewagt hatte. Fast erwartete ich, dass Miss Mulligan aufs Deck gestürmt kam und mich bei den Schultern packte und durchschüttelte, bis ich Vernunft annahm.
»Aber du bist auf der Hawthorne Highschool«, wandte Parker ein.
»Na und?«
»Auf die Hawthorne geht man, um an ein Elite-College zu kommen. Nur aus dem Grund geben unsere Eltern tonnenweise Geld aus – um unsere Zukunft zu sichern, bevor wir selbst wissen, was wir damit eigentlich machen wollen.«
»Tja, dann breche ich wohl mit einer heiligen Tradition.«
Er starrte mich an und schien mich zum ersten Mal seit meiner Ankunft wirklich zu sehen. »Wegen der Sache mit deiner Schwester?«
Zwar lag er damit falsch, aber immerhin hatte er den Mut, die Frage auszusprechen. Die meisten Leute hätten genau das Gleiche gedacht und den Mund gehalten.
»Nein, ich finde einfach, für mich hat das Studieren wenig Sinn.«
»Was haben deine Eltern dazu gesagt?«
»Dass ich selbst entscheiden muss, was ich mit meinem Leben anfangen will, und dass sie mich auf jeden Fall unterstützen.« Ich gab ihm die Antwort, von der ich wusste, dass Justine sie hätte hören wollen. Nur hatte sie nie den Mut aufgebracht, unseren Eltern die Wahrheit zu sagen. »Dass sie mich immer lieben werden, ganz egal, was ich tue.«
Meine Stimme wurde brüchig, aber falls Parker es hörte, ließ er sich glücklicherweise nichts anmerken. Er wandte nur seinen Blick wieder dem unsichtbaren Horizont zu, bis ich Zeit gehabt hatte, mich zu sammeln.
Eine Weile später erzählte er: »Heute bei der Fahrt hierher hat mein Vater eine Mail von meinem Teamtrainer erhalten, in der stand, dass ich mit Wasserball aufhören will. Da hat er gebrüllt, er würde nicht erlauben, dass ich ihn so blamiere. Er hat gesagt, von meinem guten Namen abgesehen, sei Wasserball das Einzige, mit dem ich glänzen könne, denn sonst gäbe es ja herzlich wenig, womit ich ihn stolz machen würde.«
Meine Überraschung darüber, dass er das Team verlassen wollte, wurde von der Reaktion seines Vaters überdeckt. Meine eigenen Eltern würden sicherlich nicht begeistert sein, wenn ich ihnen endlich beibrachte, dass ich aufs Studium verzichten wollte – aber weil sie sich Sorgen um meine Zukunft machten und nicht um ihren Ruf.
»Weißt du, was ich von meinem Vater zu erwarten hätte, wenn ich ihm sagen würde, dass ich vielleicht nicht studieren will? Weil ich nicht sicher bin, ob eine Hochschule für mich das
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