Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)
dem Augenwinkel eine längliche Form im Wasser entdeckte. Sie driftete wie ein Stück Treibholz von der Yacht fort auf die Mitte des Hafenbeckens zu.
Ich lehnte mich über die Reling an der Seite des Bootsrumpfes, um einen besseren Blick zu bekommen, und konnte tatsächlich Parkers Gesicht erkennen. In Windeseile rannte ich das Deck entlang, schnappte mir den Rettungsring der Boston und raste wieder zurück. Das Wasser war so schwarz wie der Himmel, aber vor meinem inneren Auge konnte ich es leuchten sehen wie beim Angriff der Sirenen im Sommer, als weiße Lichtsäulen aus der Tiefe emporgeschossen waren. Ich betete, dass Justine mir etwas von ihrem sportlichen Talent leihen würde, nahm meine ganze Kraft zusammen und warf den Rettungsring mit weit ausholender Bewegung nach vorne.
Er landete platschend ein paar Meter von Parker entfernt, der sich nicht rührte.
Stell dir vor, du liegst auf dem Rücken, und das Wasser umspült dich, füllt deine Ohren für einen Moment und gibt sie dann wieder frei. Abwechselnd hörst du deutlich, was um dich herum geschieht, und dann ist wieder alles gedämpft. Ungefähr so fühlt es sich an.
Mit diesen Worten hatte Simon die Trance beschrieben, in die Zaras Sirenenkräfte ihn versetzt hatten, als die beiden allein im Wald gewesen waren – und genau das Gleiche schien nun auch mit Parker zu geschehen. Mitten im eiskalten Wasser. Entweder würde die Wintertemperatur ihn töten, oder die Sirenen würden das persönlich in die Hand nehmen.
»Parker«, zischte ich.
Keine Reaktion.
Ich umklammerte die Reling und suchte im Wasser nach aufschimmerndem Licht oder anderen Lebenszeichen, die sich unter der spiegelglatten Oberfläche verbargen. Wenn Parker tatsächlich von Sirenengesang verzaubert war, was würde passieren, wenn ich ihm ins Meer nachsprang? Ich traute mir zu, einer von ihnen zu entkommen, aber einer ganzen Gruppe? Dagegen würde ich machtlos sein.
Plötzlich fiel mir der Sicherheitsdienst ein. Wahrscheinlich saßen die beiden Typen immer noch im Golfmobil auf dem Parkplatz und beobachteten, ob auf der Boston auch alles mit rechten Dingen zuging. Ich konnte sie alarmieren und ihnen ganz einfach die Wahrheit erzählen – nämlich dass Parker im Hafen schwimmen gegangen war und sich nicht mehr rührte –, damit sie sich um alles kümmerten. Andererseits bestand die Gefahr, dass sie zu langsam waren oder die Macht der Sirenen zu stark, und dann wären gleich drei Menschen …
Mein Blick blieb an einer aufgewühlten Stelle im Wasser hängen.
Parker war fort. Eben noch hatte er dort gelegen, steif und reglos wie ein Toter, und dann war er kopfüber in der Tiefe verschwunden.
»Oh, nein.« Ohne die Stelle aus den Augen zu lassen, schlüpfte ich aus meinen Turnschuhen, der Jacke und dem Sweatshirt. »Nein, nein, nein .«
Ich zögerte kurz, bevor ich auch die Jeans auszog und auf den Boden warf. Nur in T-Shirt, BH und Slip kletterte ich über die Reling und stand unentschlossen auf der anderen Seite. Meine Zehen ragten über den Rand der Yacht, und meine schwitzenden Hände begannen von der Metallstange hinter mir abzugleiten, an der ich mich immer noch festhielt. Ich schloss die Augen, atmete die feuchte, salzige Luft ein, erinnerte mich daran, wie Parker mir im Pavillon des Stadtparks das Knie verarztet hatte.
Dann sprang ich.
Schon die erste Berührung mit dem Salzwasser war pure Ekstase. Andererseits war das Wasser pechschwarz, und auch wenn ich stundenlang tauchen konnte, nutzte mir das wenig, da ich nicht einmal die Hand vor Augen sah. Wie sollte ich unter diesen Bedingungen Parker finden?
Ich machte unter Wasser eine Drehung, um an die Oberfläche zu schwimmen, als etwas meinen Knöchel packte.
Durch meinen Schrei entstand eine Wolke von Luftblasen, die mir die Sicht vernebelten. Ich trat und zerrte, aber das Etwas ließ sich nicht abschütteln, sondern zog mich mehrere Meter tiefer, bevor es plötzlich losließ. Kaum war ich frei, tauchte ich pfeilschnell davon und verschwand kopfüber in der Tiefe, um den Hafen nach Raina, Zara und dem restlichen Sirenen-Clan von Winter Harbor abzusuchen.
Ich war so konzentriert auf das Wasser unter mir, dass ich die Gestalt vor mir nicht bemerkte, bis ich sie mit dem Kopf rammte und Arme sich um meine Schultern schlossen.
Vergeblich wand ich mich und kämpfte dagegen an. Ich wurde in Sekundenschnelle zurück an die Oberfläche gezogen.
»Parker!« Ich stieß ihn an der Brust weg, und dieses Mal löste er seinen Griff.
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